Der 2020 Krisenblog

Fünfzehnter Tag

Erstellt am Freitag, 03. April 2020 13:07
Jetzt, wo wir uns an die Ausnahmesituation gewöhnt haben und uns die ständigen Nachrichten über die Pandemie und ausschließlich über sie auf die Nerven zu gehen beginnen, sei eigentlich Zeit, sich um „abseitigere“ Themen zu kümmern, meint Eduard Kaeser, Physiker und Philosoph und Jazzmusiker.
Ich wollte seinem Rat folgen. Das heutige abseitige Thema wäre der Alltag gewesen. Menschen sind ja großartig darin, auch in ungewöhnlichen Situationen so rasch wie möglich wieder Alltag herzustellen. Darüber zu sinnieren, das wäre einerseits vielleicht interessant, jedenfalls aber auch beruhigend gewesen.
Das sei nun aufgeschoben, denn es passt nicht zu dieser Stimmung, die durch die heutige Pressekonferenz der Bundesregierung wieder eher ins Bewölkte gekippt ist, unpassend zu einem kühlen, aber sonnigen Tag.
Robert Castel hat schon 1991 etwas beschrieben, das wir alle mehr oder weniger gut kennen:
„Um es am Anfang sehr schematisch auszudrücken, ist die Innovation folgende. Die neuen Strategien lösen den Begriff eines Subjekts oder eines konkreten Individuums auf und installieren an ihrer Stelle eine Kombinatorik von Faktoren, den Risikofaktoren. Wenn es wirklich das ist, was stattfindet, dann bringt eine derartige Umgestaltung wichtige praktische Auswirkungen mit sich. Der wesentliche Bestandteil der Intervention nimmt nicht mehr die Form der direkten Beziehung von Angesicht zu Angesicht zwischen dem Fürsorger und dem Befürsorgten, dem Helfer und dem zu Helfenden und dem Experten und dem Patienten an. Statt dessen liegt er in der Bildung von Bevölkerungssegmenten, die auf dem Vergleich einer Reihe von abstrakten Faktoren basieren, die geeignet scheinen, das Risiko im allgemeinen hervorzubringen. Diese Verschiebung wirft das existierende Gleichgewicht zwischen den jeweiligen Standpunkten des spezialisierten Experten und des Verwaltungsbeamten völlig um, die mit der Bestimmung und der Anwendung der neuen Gesundheitspolitik beauftragt werden. Die Spezialisten sehen sich nun in eine untergeordnete Rolle verwiesen, während es der Verwaltungspolitik gestattet wird, sich zu einer vollkommen autonomen Kraft zu entwickeln, völlig jenseits der Kontrolle durch den Tätigen vor Ort, der nun auf einen bloß Ausführenden reduziert wird.“
An diesen Text (lohnende Lektüre, wer nachlesen will findet ihn hier: http://www.episteme.de/htmls/Castel.html) habe ich mich heute erinnert. Anschließend an die Verkündung der neuen Maßnahmen hatten meine Mitbewohner*innen fantasiert, dass die Zeit kommen könnte, wo sie mir zu Hause nur mehr mit Schutzmaske begegnen. Das alles zu meinem Schutz natürlich, weil ich mit meinen 66 Jahren der Risikogruppe zugeordnet werde. I´m not amused.
Auch die beiden Fotos sind heute eher irritierend. Der weiße Punkt am Himmel (in der Vorschau nicht sichtbar) ist die Venus. Sie begleitet uns ja schon lange an den Abenden, und wie man weiß, ist sie ein sehr unwirtlicher Planet. Ihre Anwesenehit zeigt, dass unsere Erde nicht allein ist im weiten Universum, sondern eingebunden in einen Familienverband, wenn man es so bezeichnen will. Als weiterer blühender blauer Planet wäre sie mir allerdings lieber. Aber meine Meinung zählt ja nix im Universum.
Das zweite Foto war ganz einfach da. Ich kann mich nicht erinnern, wie es zustandegekommen sein könnte. Bin das ich, in Quarantäne, nur mehr schemenhaft erkennbar für all jene „draußen“?
Das ist natürlich ein Blödsinn. Nichts hat sich geändert. Heute habe ich mir die Kommandobrücke des Raumschiffs Voyager (Start Trek) als virtuellen Hintergrund bei den Videokonferenzen gegönnt. Etwas fürs Selbstbewusstsein!
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