Der 2020 Krisenblog

Sechzehnter Tag

Erstellt am Freitag, 03. April 2020 13:10
Gestern hielt mich eine wunderbare, wenn auch wenig spektakuläre Abendstimmung im Garten fest. Die Wienerwaldbergkette hob sich schwarz von einem schmalen Streifen rotgefärbten Himmels ab, der je weiter ich meinen Blick nach oben richtete, ein zuerst helles, dann zum Zenit zu immer dunkler werdendes Blaugrau annahm. Die teils noch kahlen, teils schon die ersten Blätterknospen tragenden Bäume zeichneten ein unregelmäßiges Gitter auf diesen Hintergrund. Hoch in der Krone eines Nachbarbaumes saß der Herr Fasan, die Welt um sich betrachtend. Ich harrte lange aus, er auch.
Schluss mit dieser grauenhaften Schwülstigkeit – obwohl: genau so war es.
Gestern hat sich Herr Orban vom Parlament auf unbestimmte Zeit nahezu diktatorische Vollmachten geben lassen. Er ist keineswegs der erste Freiheitskämpfer, der sich zum Autokraten und schließlich entwickelt hat – mit fleißiger Unterstützung seiner Partei. Orban hat als Liberaler begonnen, andere als Linke – man denke zum Beispiel an den Herrn Ortega in Nicaragua, die Herren Chavez und Maduro in Venezuela. Ihre Anhängerinnen und Anhänger sind ihnen gefolgt, denn es gibt ja immer die angebliche Bedrohung von außen und von den reaktionären Kräften, die das Volk wieder unterjochen wollen. Und man hat etwas davon, wenn man mitschwimmt, auch materiell. Nur die Präsidentenpartei kann den Ausnahmezustand beenden, sie entscheidet auch allein, wann und ob es jemals wieder Wahlen gibt, und „Querulanten“ haben Haft zu erwarten. Gegen den Bürgermeister von Mohacs wird wegen „Gefährdung der Öffentlichkeit“ ermittelt, weil er seine Stadt als „Corona-Hotspot“ bezeichnet hat.
Armes Ungarn. Auch die Europäische Union wird sie nicht befreien können, das werden sie schon selbst tun müssen. Wie heißt es in Brechts Einheitsfrontlied? Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum kann er sich nur selbst befrein. Yes.
Jetzt soll es randomisierte Testungen geben. Mein Soziologenherz pocht aufgeregt, denn die Aussagekraft der Infektionszahlen war bisher doch beschränkt. Endlich wird man zumindest ungefähr wissen, wie verbreitet das Virus wirklich ist. Das Ungefähre liegt dabei weniger bei der Statistik und der Stichprobengröße, sondern wohl mehr bei der Zuverlässigkeit der Tests, glaube ich.
Es dämmert. Es dämmert, dass die Zeit lang wird, dass es schwierig ist, die Freundinnen und Freunde so lange nicht sehen, so richtig sehen, zu können. Und es dämmert, dass die Folgen gravierend sein könnten.
Schokolade hilft. Wir haben extra eine Bonbonniere mit ganz ganz kleinen Bonbons angeschafft. Ein klitzekleines Stück Schokolade hilft auch schon.
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