Referat auf der Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe, Schladming, 10. Mai 2000.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich danke für die Einladung, auf dieser Tagung zu sprechen. Nachdem wir uns mit der Makro- und der Meso-Ebene vertraut gemacht haben, hoffe ich, dass Ihre Kräfte noch für einen Ausflug auf die Mikro-Ebene reichen.
Ich beabsichtige, zuerst einige Einwände gegen Planung in der Fallarbeit zu formulieren. Es gibt nämlich gute Gründe für Skepsis gegenüber Anstrengungen, einen Prozess wie den Handlungsdialog zwischen SozialarbeiterIn und KlientIn zu schematisieren. Dann werde ich auftragsgemäß das Modell des Case-Management vorstellen und erläutern. Ich werde zu begründen versuchen, wieso und wie es trotzdem funktioniert, bzw. funktionieren kann. Im dritten Teil des Referats werde ich auf die Gefahren eingehen, die mit einer allzu leichtfertigen Anwendung des Instruments Case-Management verbunden sind. Und schließlich, im vierten Teil, werden auch Sie zu Wort kommen und wir können hier im Plenum einige Fragen diskutieren.
Nun wissen Sie, was Sie erwartet, und ich kann mit meinem skeptischen Auftakt beginnen:
1.
Ich muss zugeben, dass mich der Titel dieser Tagung vorerst erschreckt hat. ÑHilfe ohne Planung ist Hilfe ohne Hirnì. Schließlich habe ich sehr lange Zeit als Sozialarbeiter an der sogenannten Basis gearbeitet. Und wenn ein neuer Klient, d.h. meistens war es eine Klientin, kam, so begrüßte ich sie freundlich, lehnte mich zurück und wartete, was da kommen möge. Es kamen Erzählungen und Wünsche, Beschwerden über die Welt und die derzeitigen oder früheren Partner, über die eigenen Kinder und die Eltern. Es kamen sonderbare Fragen und illusorische Vorstellungen, was nun zu tun sei. Bei diesem langen zurückhaltenden Zuhören suchte ich Ansatzpunkte für pragmatische erste Schritte. Was ist jetzt möglich zu tun, das war meine Leitfrage. Und weiter: was von dem, was jetzt getan werden kann, richtet keinen Schaden an. Was lässt Weiterarbeit und Weiterleben zu, auch wenn es schief gehen sollte. Und wenn es gelingt, dann können wir ja weiter überlegen, meine neue Klientin und ich.
Wenn es sehr gelingt, dann wird sie mich gar nicht mehr brauchen und ich werde nie erfahren, wie erfolgreich ich war. So konnte ich mich trösten: All jene, die ein Mal und nie wieder kamen, waren wahrscheinlich durch mich auf den richtigen Pfad des Erfolgs gekommen, und der führt nicht zum Jugendamt.
Bei den Dauergästen ging ich nicht wesentlich anders vor. Gab es da Planung? Half ich ohne Hirn? Ich glaube nicht. Ich hielt mich für einen recht guten Sozialarbeiter, ja sogar für einen, der sehr viel denkt. Ist also nicht die planlose Hilfe dumm, sondern der Slogan dieser Tagung?
Ich schiebe die Antwort vorerst auf und spreche lieber über etwas Unverfängliches, nämlich über das Häuserbauen. Im unmittelbaren Umfeld der St.Pöltner Akademie hatten wir da in den letzten Jahren ein schönes Beispiel. Das Regierungsviertel und der Kulturbezirk wurden gebaut, oder wie das dann auf Widmungstafeln heißt, sie wurden Ñerrichtetì. Häuserbauen ist das Lieblingsfeld von Planern. Ohne Planung geht da nämlich ganz offensichtlich gar nichts. Schließlich hat schon Karl Marx in einem berühmten Text geschrieben, dass sich der Mensch von der Biene, die schließlich auch Häuser baut, dadurch unterscheidet, dass er das Haus vorerst in seinem Kopf errichtet. Er plant. Und um eine so umfangreiche Anlage wie das Regierungsviertel fertigstellen zu können, ist ein ganz erheblicher Planungsaufwand erforderlich. Nicht nur in Köpfen, sondern auch in Computern und auf Unmengen von Papier werden die Schritte bis zum schließlichen Ziel vorausgedacht, terminisiert, in eine logische und terminliche Abfolge gebracht. Die Planungstechnik ist der Netzplan, denn vieles hängt mit vielem zusammen, und Schritt D kann nicht getan werden, bevor nicht die Schritte A, B und C abgeschlossen sind, die wiederum andere Schritte zur Voraussetzung haben und so weiter. Das Ziel ist klar, die Schritte können eindeutig definiert werden, das Verhalten der beteiligten Materialien, Händler und Baufirmen kann mit ziemlich großer Sicherheit vorausgesagt werden. Die Aufgabe ist hoch komplex ? und trotzdem: das Problem, das mit dieser Planung zu lösen ist, ist ein sogenanntes gutartiges Problem.
Bei aller Hochachtung vor den Organisationsleistungen der Errichtungsgesellschaft müssen wir trotzdem sagen, dass die es im Vergleich zu SozialarbeiterInnen relativ leicht haben. Ihre Werkstoffe halten still, und deren Eigensinnigkeit ist voraussehbar, berechenbar, bekannt und bewegt sich in einem engen Rahmen. Was würden die Stadtteilbauer wohl tun, wenn Beton, Stahl, Ziegel es sich plötzlich anders überlegen würden, ein wenig spazieren gehen und sich woanders niederlassen. Wenn da auch noch andere Gesellschaften planen würden und nicht mehr vorauszusagen ist, nach wessen Plan sich die Baufirmen morgen richten würden? Wenn alle Bauarbeiter plötzlich aufhören würden, zu arbeiten, sich das Haus aber selber weiterbaut? Dann wären sie in der Lage, in der SozialarbeiterInnen täglich sind. Dann wäre ihr zu lösendes Problem kein Ñgut strukturiertesì mehr, sondern ein Ñschlecht strukturiertesì. Und sie könnten sehen, wo sie bleiben mit ihren Netzplänen.
Schlecht strukturierte Probleme haben einige unerfreuliche Eigenschaften:
1. Diffusität: Problem ist unklar, Wege und Ziele der Lösung sind unklar.
2. Komplexität: große Zahl von intervenierenden Variablen
3. Vernetztheit: Diese beeinflussen sich auch gegenseitig
4. Zielkonflikte: mehrere Zielsetzungen, die zueinander im Widerspruchstehen: Ziele unklar.
5. Unkontrollierbarkeit: Faktoren bedeutend, die nicht direkt beeinflussbar sind
6. Eigendynamik: der Ausgangszustand verändert sich auch ohne Eingreifen des Problemlösers
Ich nehme zurück, dass diese Eigenschaften Ñunerfreulichì sind. Das sind sie nur für Menschen, die Diffusität, Komplexität, Vernetztheit, Eigendynamik nicht ertragen können. Wenn wir so wären, hätten wir uns wohl einen anderen Beruf gesucht, zum Beispiel Bauunternehmer. Wir arbeiten mit Menschen und mit sozialen Beziehungen, und die sind nun mal so. In diesem unseren Zusammenhang interessiert uns das weniger auf einer philosophischen Ebene, als auf einer praktischen. Auf der Ebene der Planung. Es dürfte einsichtig sein, dass der erfolgreiche Umgang mit schlecht strukturierten Problemen eine andere Planungsphilosophie und andere Planungsinstrumente braucht, als der Bau eines Regierungsviertels.
Wir haben jetzt über Planung anhand eines Modells gesprochen und festgestellt, dass eine solche Form der Planung für uns unbrauchbar ist. Wir können uns nun auf die Suche nach Planungsinstrumenten machen, die in einer Welt der schlecht strukturierten Probleme ? manche sagen auch Ñbösartige Problemeì dazu, das ist aber selbst schon wieder bösartig ? die uns in einer solchen Welt der Diffusität, der Zielkonflikte, der Vernetztheit und der Unkontrollierbarkeit ermöglicht, sinnvoll zu handeln.
Karl E. Weick schreibt in seinem Buch ÑDer Prozess des Organisierensì sinngemäß: Wenn eine Situation unklar und diffus ist, handle so, als wäre sie klar. Wenn eine Situation klar scheint, handle so, als wäre sie unklar.
In diesem Doppelsatz steckt eine Antwort auf unsere Schwierigkeit. Wir wissen, dass es keine sicheren Voraussagen geben kann, wir wissen, dass sich die Menschen bewegen und dass morgen alles anders aussehen kann. Trotzdem können wir aber so tun, als wäre klar, was zu tun ist. Wir machen Vereinbarungen mit dem Klienten und mit verschiedenen Institutionen in seinem Umfeld. Wir stellen Ziele auf und überprüfen die Ergebnisse unseres Tuns. Gleichzeitig bleibt uns aber das Wissen erhalten, dass viele der dem Plan zugrundeliegenden Annahmen nur schlecht abgesichert sind, dass unsere Planung möglicherweise auf falschen Voraussetzungen beruht oder rasch von der Entwicklung überholt wird. Wir verfallen nicht in den fatalen Irrtum, dass wir glauben, nur weil wir klar handeln und klare Vereinbarungen treffen, sei auch die Situation klar. Wir lassen uns nicht durch unseren Plan dümmer machen als wir sind.
Soweit also zur Planungsphilosophie: Wenn unklar ist, was das Problem ist, wenn die Wege und Ziele zur Lösung nicht eindeutig sind, dann benötigen wir eine Planung, die es uns ermöglicht, trotzdem etwas sinnvolles zu tun, also handlungsfähig zu werden. Weder wir noch unsere KlientInnen sollen wegen der Kompliziertheit der Welt in stille Verzweiflung und Weltschmerz versinken. Die Planung ist in erster Linie ein Werkzeug für das Handeln, nicht für die Erkenntnis der Welt.
Das erste Ziel wird sein, überhaupt etwas tun zu können. Um das zu erreichen, muss man paradoxerweise oft nichts tun. Oder doch nicht ganz genau nichts, sondern man muss die eigenen Handlungsimpulse im Zaum halten, und das kann ganz schön schwierig sein, wie nicht nur BerufsanfängerInnen wissen. Wir sprechen vom Erstgespräch, vom ÑFirst Helping Interviewì, vom Intake oder wie die schönen Worte sonst noch heißen. Der erste Schritt der Planung des Unplanbaren ist das Interesse dafür, mit welcher unübersichtlichen und schwierigen biografischen und Lebenssituation ich nun konfrontiert werde.
Wir hören also dem Klienten zu und sind ganz unvoreingenommenes Interesse. Wir hören Erzählungen teils begrenzter Glaubwürdigkeit, wir stellen Beobachtungen an und nun, viel zu früh, assoziieren wir bereits diverse Hilfsmöglichkeiten. Vielleicht sollten wir uns vergegenwärtigen, was wir jetzt überhaupt tun, während wir scheinbar noch nichts tun. Vielleicht sollte ich nach der Darstellung der Planungsprobleme jetzt endlich zum Thema meines Referats, zum Case-Management, kommen.
2.
Der eine oder die andere wird zu Case-Management die Bücher von Wolf Rainer Wendt assoziieren und damit richtig liegen. Case Management ist ein Verständnis der Sozialen Arbeit, das den Blick auf einen strukturierten Ablauf des Betreuungsprozesses lenkt, auf den Aspekt des gezielten Problemlösens, auf Organisation und Koordination. Case Management zu betreiben ist der Versuch, mit Mitteln der Planung und Organisation ein Unterstützungsdesign zu erarbeiten und zum Funktionieren zu bringen. Die Schritte des Case Managements sind logische Schritte der Fallbearbeitung. Im wesentlichen sind das:
Assessment, Planung, Organisation, Monitoring (Beobachtung), Evaluation (Reassessment), Advocacy
Wo befinden wir uns also mit unserem Klienten? Wir befinden uns in der ersten Phase, dem sogenannten Assessment, also der Bestandsaufnahme der Situaton des Klienten und seiner Bedürfnisse. Und zwar in der ersten Phase dieser ersten Phase. Wir werden bald einmal dazu übergehen, dass wir mit dem Klienten versuchen, seine Bestandsaufnahme zu strukturieren, seine Bedürfnisse zu formulieren. Die Bestandsaufnahme ist in der Sozialarbeit eine biopsychosoziale, also eine, die das Dreieck Person ? Körper ? Umwelt umfasst. Es ist wohl besser, in diesem Zusammenhang den Begriff der Diagnose zu vermeiden: Es soll der Eindruck vermieden werden, als ginge es darum, die richtige vorgefertigte Schublade zu finden und dann sei das Wichtige gesagt. Für Case Management in der Sozialarbeit ist es zwar nicht unerheblich, ob jemand z.B. Alkoholiker ist oder nicht. Aber damit, dass der Alkoholismus festgestellt wird, ist noch zu wenig über die konkrete Bedürftigkeit des Betroffenen ausgesagt. Als Ergebnis des Assessment steht also eine Bestandsaufnahme der Bedürfnisse des Klienten bzw. der Klientin.
Folgt man den Standards for Social Work Case Management der amerikanischen National Association of Social Workers, so ist das Assessment wie das gesamte Case Management ein kooperativer Prozess. Das Planungsverständnis ist das der kommunikativen Planung: Planung durch Verhandeln und durch Vereinbarungen. Nicht das einsame Ausfüllen eines Formulars durch den Sozialarbeiter, sondern die Einbeziehung des Klienten, die Aufnahme und gewissenhafte Diskussion auch seiner Selbsteinschätzung bietet die Grundlage für einen aussichtsreichen Unterstützungsplan.
Was kann eigentlich geplant werden, wenn, wie oben beschrieben, die Probleme und die Ziele und Lösungswege unklar sind, wenn die zukünftige Entwicklung sich einer sicheren Prognose entzieht?
Eingebettet in die grundsätzliche Ziel- und Ergebnisoffenheit finden sich im Prozess der Fallbearbeitung immer Elemente, die eine andere Struktur haben. Zur Erlangung einer Arbeitslosenunterstützung oder von Sozialhilfe ist eine ziemlich genau definierte Abfolge von Schritten erforderlich, die nicht beliebig variiert werden können. Zu diesen Schritten gibt es oft auch gar keine Alternative. Geld wird benötigt, um die KlientInnen handlungsfähig zu machen, und beliebige andere Möglichkeiten, zu Geld zu kommen, haben sie nicht. Hier gibt es also einen Teilbereich der Fallbearbeitung, der planbar ist in diesem klassischen Sinne: Das Ziel ist klar, die Schritte dorthin können vereinbart und terminisiert werden. Der Erfolg ist messbar. Wir haben es mit einer Enklave der Übersichtlichkeit und Antizipierbarkeit im grundsätzlich nicht mit Sicherheit voraussagbaren Leben zu tun.
Sie wissen natürlich, dass es auch bei einem solchen überschaubaren Projekt zu unerwarteten Schwierigkeiten, ja sogar zu einer auf den ersten Blick unverständlichen Verweigerung der Mitarbeit durch die KlientInnen kommen kann. Behalten wir diesen Einwand im Gedächtnis, wir werden auf ihn noch zurückkommen. Vorerst sollten wir uns durch ihn aber nicht entmutigen lassen.
Ich behaupte jetzt, dass sogar mehr als nur diese Inseln der Übersichtlichkeit geplant werden kann. Planung ist nämlich auch dann möglich, wenn ich von vornherein die Möglichkeit mitdenke, dass ich und der Klient sich irren. Dass formulierte Ziele vielleicht unerreichbar sind, dass die Dynamik der Entwicklung unsere Pläne morgen zur Makulatur macht. In diesem Fall verstehe ich das Assessment als ein System von vorläufigen Annahmen, auf deren Basis nun einmal gehandelt werden kann. Der darauf aufbauende Hilfeplan ist dann die Vereinbarung zwischen SozialarbeiterIn und KlientIn, welche Ziele mit welchen Mitteln in welcher Reihenfolge angestrebt werden sollen und wer dazu was beizutragen beabsichtigt. Sind noch sogenannte Important Others beteiligt (z.B. Familienangehörige), denen im Unterstützungsdesign eine Aufgabe zukommt, so sollten auch sie in das Assessment einbezogen werden und den Unterstützungsplan mitunterzeichnen. Wir sehen, dass es sich bei der formellen Unterzeichnung des Unterstützungsplans um ein Ritual handelt, wie es Verhandlungen oder ein Geschäft beschließt und das Ergebnis verbindlich macht. Und wie es sich bei einem guten Geschäft bzw. einem guten Vertragsabschluss gehört, verpflichtet es beide bzw. alle Seiten. Jeder Vertragspartner trägt etwas bei, jeder findet seine Interessen dabei aufgehoben. Einseitige Verträge sind Diktate. Sie halten nicht lange, werden unterlaufen. Sie werden nur eingehalten, wenn der Druck groß ist und die Kontrolle penibel.
Wenn wir von Zielen sprechen, so sind die Sicherung eines Basisniveaus materieller Versorgung, die Verhinderung drohender Verschlechterungen in der Lebenssituation der KlientInnen vorrangig. Fallbezogen bedarf das natürlich der Konkretisierung. Harm Reduction, Sicherung eines Mindestmaßes an Menschenwürde und die Realisierung von Rechtsansprüchen gehen vor. Ehrgeizigere Ziele sind grundsätzlich nachrangig.
Ziele sollen also im Hilfeplan formuliert werden. Ziele nicht in dem Sinne, dass den KlientInnen ein Ziel vorgegeben wird, und die UnterstützerInnen können auf den Zuschauerbänken Wetten darauf abschließen, ob er das Ziel erreichen wird oder nicht. Die Zielvereinbarung bindet nicht nur den Klienten, sondern auch die Institutionen.
Die Erstellung des Hilfeplans ist Ergebnis des Assessments. Klienten haben ein Recht darauf, den Ablauf der Erstellung zu kennen und sich auf ihn einzustellen. Bereits beim Intake sollten sie also darüber informiert werden, dass nach der Bestandsaufnahme erst die gemeinsame Entscheidung über die Unterstützungen fällt. Sie sollten wissen, wie lange das dauern wird und in welcher Form die Hilfeplanvereinbarung getroffen werden wird. Der Prozess muss also für die KlientInnen durchschaubar und verstehbar sein. Dazu gehört von Beginn weg eine mittelfristige Terminplanung.
Der in der Grafik dargestellte Beratungszeitraum sollte dem Klienten bekannt sein, der Termin der Bilanz, in der Assessmentphase der Termin der Erstellung des Hilfeplans ist für ihn absehbar, erwartbar, festgelegt. Eine Verschiebung bedarf der Absprache.
Doch nun zum dritten Schritt des Case-Management-Prozesses, zur Organisation, zur Installierung der Hilfen. Hier wird deutlich, weshalb von Management gesprochen wird. Die Case-Managerin fühlt sich nämlich nicht nur für die eigenen Schritte verantwortlich, sondern für den konzertierten Einsatz des Ensembles von Ressourcen. Die Qualitäten Sozialer Arbeit kommen hier besonders stark zum Tragen. Für den Klienten A. muss zum Beispiel eine adäquate Unterkunft gefunden werden, sein Anspruch auf Sozialhilfe muss realisiert werden, der eine oder andere Gläubiger sollte zumindest vorläufig ruhiggestellt werden, die Möglichkeiten eines Pensionsantrags sind zu überprüfen und ein psychiatrischer Check wäre auch nicht schlecht. Da der Klient gleichzeitig noch bei der Caritas in Betreuung ist, wird mit der Kollegin dort auch noch abzuklären sein, wie deren Betreuung sich in den Hilfeplan einfügen kann.
In der Organisationsphase ist also dafür zu sorgen, dass die Hilfen realisiert werden, dass sie sich möglichst in den Alltag des Klienten einfügen. Im günstigsten Fall wurde bereits bei der Hilfeplanerstellung die eine oder andere Organisation, der eine oder andere wichtige lebensweltliche andere einbezogen, die Ressourcen anzubieten haben. Dann müssen sie vielleicht nicht mehr überzeugt werden, aber doch angeregt, ihren Beitrag jetzt auch wirklich zu leisten. Der Case-Manager agiert nun als Organisator, Motivator, Verhandler und als Kontrollor, der den Gesamtplan im Blick hat.
Dazu zwei Anmerkungen:
1) Einige Ressourcen bringt der Case-Manager natürlich selbst ein. Es ist illusorisch zu meinen, man könnte die Management-Funktion völlig von der Beratungs- und Betreuungsfunktion trennen. Um zu sehen, dass die Dinge im Interesse des Klienten funktionieren, benötigt man einen Kontakt zum Klienten, der durch Eigenleistungen des Sozialarbeiters gefestigt und auf eine Vertrauensbasis gestellt wird. Als Hauptverantwortlicher für den Fall erlangt man dadurch mehrfach Glaubwürdigkeit: beim Klienten, bei den anderen Unterstützerinnen und Unterstützern.
2) Die eigene Institution ist genauso ÑLieferantì von Unterstützungsleistungen wie andere Organisationen und lebensweltlich Andere. Als Case-Managerin trete ich mit meinen eigenen KollegInnen in Verhandlungsbeziehungen als Anwalt der Bedürfnisse des Klienten. Ernstgenommenes Case-Management kann also innerhalb der eigenen Organisation durchaus unbequem sein.
Diese Grafik verdeutlicht die Position des Case-Managers als zentraler Verhandler mit relevanten Umwelten. Die eigene Institution ist dabei als Lieferantin von möglichst bedürfnisgerechten Dienstleistungen genauso Verhandlungspartner wie andere Organisationen und die lebensweltlich Anderen.
Der vierte Schritt im Prozess ist das Monitoring. Im Idealfall handelt es sich dabei um eine relativ ruhige Phase. Wir können uns vorstellen, dass die Unterstützungen alle installiert sind. Der Klient hat eine Unterkunft, Sozialhilfe wird ausgezahlt, der Pensionsantrag dümpelt vor sich hin, bei der Caritas besucht der Klient vereinbarungsgemäß Freizeitaktivitäten, der psychiatrische Check verlief ohne nennenswerten Befund. Im Case-Management muss aber ein Mechanismus der Beobachtung installiert sein. Ich soll mich regelmäßig vergewissern, dass die Unterstützungen gemäß dem Hilfeplan noch funktionieren. Dafür können sowohl telefonische Checks bei den UnterstützerInnen nützlich sein, als auch Gesprächstermine mit dem Klienten, bei denen die Frage im Vordergrund steht, ob die Hilfen seinen Bedürfnissen entsprechen, ob sich dabei vielleicht Schwierigkeiten oder Probleme ergeben, ob nicht unerfreuliche Nebenwirkungen auftreten. Das Monitoring kann also mit Beratung verbunden werden.
Die Beobachtung sollte so intensiv sein, dass man rechtzeitig erkennen kann, wenn ein Element im Unterstützungsdesign unrund läuft und man nachbessern muss. Sie sollte aber auch zurückhaltend genug sein, dass der Klient und die UnterstützerInnen sich nicht übermäßig kontrolliert vorkommen, so als spräche man ihnen Verantwortungsbewusstsein ab.
Die Monitoringphase ist auch eine gute Gelegenheit für unaufdringliche Ressourcenpflege: Es ist Arbeit an der Beziehung zu Ressourcenbringern möglich, das Zeigen von ein wenig persönlichem Interesse und von Anerkennung über die gute geleistete Arbeit.
Im fünften Schritt schließt sich der Kreis. Die Evaluation ist die Überprüfung, ob mit den eingesetzten Mitteln die vereinbarten Ziele erreicht werden konnten bzw. ob sie in ausreichender Qualität erreicht wurden. Die Evaluation bezieht sich also grundsätzlich auf den Unterstützungsplan bzw. die Hilfevereinbarung. Sie ist kein Tribunal über den Klienten, sondern eine Überprüfung der Arbeit aller Beteiligten, an der der Klient maßgeblich beteiligt ist. Die Evaluation kommt nicht aus heiterem Himmel, sondern ihr Zeitpunkt und ihre Form sind bereits im Unterstützungsplan vereinbart und terminisiert. Als Reassessment bezeichnen wir dann eine neuerliche Bestandsaufnahme der Situation des Klienten, bei der man sich nicht mit der Evaluation begnügt, sondern sich noch einmal von Grund auf bilanzierend mit seiner Lebenssituation und Bedürftigkeit auseinandersetzt und den Hilfeplan neu formuliert.
Wir können so die Ziele als Ziele der Unterstützung verstehen, als ein Werkzeug, um handlungsfähig zu werden und um erkennen zu können, dass wir uns in unserer Einschätzung geirrt haben. Der Hilfeplan zwingt uns, das nötige zu tun und uns zu verantworten, wenn wir es nicht tun. Und wenn nicht funktioniert, was wir uns vorgestellt und ausgehandelt haben, dann ist eben neu zu verhandeln und das Unterstützungsdesign zu ändern.
Manche mögen einwenden, dass das Klientel im psychosozialen Bereich nur eingeschränkt fähig sei, an Zielvereinbarungen mitzuwirken, sich an Abmachungen zu halten etc. Nach meiner Auffassung (und ich schließe mich hier der Auffassung der NASW an) schließt dies allerdings weder die Anwendung von Case-Management, noch die Partizipation der KlientInnen bei der Erstellung der Hilfepläne und bei deren Umsetzung aus, im Gegenteil. Es verweist nur darauf, dass die Planung in einer Form geschehen muss, die den KlientInnen noch zugänglich ist. Es wären adäquate Formen der Vereinbarung zu finden, die den KlientInnen nicht eine ihnen fremde, bürokratisch-formulargeleitete Planung aufzwängt, die sie zu den notorisch Schwächeren im Aushandlungsprozess macht. Was die Ziele anbelangt, so ermöglichen bescheidene Ziele sowohl den KlientInnen einen besseren Überblick, als auch die Chance, sich selbst höhere Ziele zu stecken. Das heißt, dass sie größere Chancen zur Selbstbestimmung haben, als wenn ihnen im Hilfeplan ehrgeizige Ziele angedient werden.
3.
Wir sind damit beim dritten Punkt meines Referats, bei einigen Warnungen vor einer inadäquaten Case-Management-Praxis.
Hier die erste Warnung: Case Management kann nur dort praktiziert werden, wo tatsächlich die Fallführung liegt. Unsere amerikanischen KollegInnen sprechen von der notwendigen Autorität des Case-Managers. Es hat die bedürfnisadäquate Koordination der Hilfen zum Ziel und muss dort scheitern, wo nicht koordiniert werden kann. Wenn sich auch andere am Fall Beteiligte HelferInnen als KoordinatorInnen verstehen, muss unbedingt abgeklärt werden, bei wem die Hauptverantwortung liegt.
Die zweite Warnung: Case-Management ist eine Arbeitsweise, die i.d.R. unter den Bedingungen eines starken Machtgefälles zwischen Institution und KlientIn angewandt wird. Die Zielvereinbarungen können nur allzuleicht zu einem Diktat werden, der sogenannte Hilfeplan zu einem Instrument der zwangsweisen Verpflichtung des Klienten auf Bedingungen, deren Einhaltung er kaum schaffen kann. Die Institutionen schaffen sich so bereits vorbeugend eine Legitimierung für den Abbruch der Hilfe, wenn der Klient den Anforderungen nicht nachkommen kann.
Die dritte Warnung: Ziele, die nur dann erreicht werden können, wenn alles gut geht und keine Friktionen auftreten, können kontraproduktiv und schädlich sein. Unterstützung sollte nicht wie ein Seiltanz oder eine Gratwanderung inszeniert sein, wo ein Fehltritt die Katastrophe, den Absturz zur Folge hat. Gute Pläne sind rückfalltolerant und sehen die Möglichkeit ihres temporären Scheiterns voraus, ohne dass deshalb die Hilfe eingestellt wird.
Die vierte Warnung: Zielvereinbarungen sollen unterstützen. Die Abweichung des Klienten vom Plan soll keine Sanktionen, keine Strafe zur Folge haben, sondern eine Neudiskussion des Plans, ev. ein Reassessment. Andernfalls wird der Plan zum puren Herrschaftsinstrument.
Und schließlich die fünfte Warnung: Dokumentationssysteme, die oft in Organisationen eingeführt werden, die einen Case-Management-Approach bevorzugen, haben die Tendenz, sich zu verselbstständigen. Ein gut ausgefülltes Formular wird von manchen KollegInnen mit guter Fallbearbeitung verwechselt. Ich möchte an die Unterscheidung zwischen dem Wissen um die Unklarheit der Situation und dem klaren Handeln erinnern. Wer die Niederschrift mit der Wirklichkeit verwechselt, arbeitet schlecht und bürokratisch.
Resumee:
Ich habe nun zuerst Einwände gegen die Planbarkeit der Fallarbeit vorgebracht und die Unterschiede zwischen gut und schlecht strukturierten Problemen herausgearbeitet. Ich habe dann eine kommunikative Planungsphilosophie für das Case-Management skizziert, die auf Verhandeln und Dialog mit den beteiligten Systemen setzt. Ich habe über Ziele und Zielvereinbarungen gesprochen, die als Handlungsorientierung und als Ermöglichung der Evaluation eigenen Handelns geeignet sind. Wir haben uns mit dem Assessment, dem Hilfeplan, der Organisation und dem Monitoring sowie dem Reassessment als Schritte des Case-Management auseinandergesetzt. Und schließlich habe ich noch einige Warnungen vor einem Missbrauch der Instrumente des Case-Managements ausgesprochen. Diese Warnungen sollten Sie aber keineswegs dazu verleiten, ein Konzept abzulehnen, das einen bedürfnisbezogenen Ansatz hat und geeignet ist, Hilfe für unser Klientel koordiniert anzubieten, das die Partizipation der KlientInnen nicht nur ermöglicht, sondern sogar fordert
Literatur:
Heiner, Maja (1995): Auf dem Weg zu einer Technologie methodischen Handelns? Überlegungen zu einer Strukturierung professioneller Problembearbeitungsprozesse in der sozialen Arbeit. In: sozialmagazin Heft 6. S. 34 - 44.
NASW Standards for Social Work Case Management; Prepared by the Case Management Standards Work Group. Approved by the NASW Board of Directors, June 1992.
Neuffer, Manfred (1993): Case Management - alte Fürsorge im neuen Kleid?. In: Soziale Arbeit Nr. 1 S.10ff..
Pantucek, Peter (1996): Arbeiten am Alltag ? Sozialarbeit als Normalisierungsagentur. In: Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Hg.): Protokoll des Symposions des Mobilen Beratungsdienstes. Wien.
Pantucek, Peter (1998): Lebensweltorientierte Individualhilfe. Eine Einführung für Soziale Berufe. Freiburg im Breisgau.
Weick, Karl E. (1995): Der Prozess des Organisierens. Frankfurt/M..
Wendt, Wolf Rainer (Hg.) (1991): Unterstützung fallweise. Case Management in der Sozialarbeit. Freiburg im Breisgau.