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Netzwerke, soziales Kapital und Zivilgesellschaft

Eine allgemeine Einführung zur Netzwerkarbeit
Beitrag für den Band "Handbuch Methoden der Kinder- und Jugendarbeit", hsg. von Karl-Heinz Braun, Bernd Dobesberger, Konstanze Wetzel u.a., erscheint 2005 im LIT-Verlag (Münster/Wien).
--> Rezension des Bandes
Dezember 2004



9.1.1. Selbstorganisation und Staat

Kein Mensch ist allein, keine Organisation ist die einzige in ihrem Feld. Es sind immer schon andere da, es waren immer schon andere da, und zwar mehr als man kennt. Es sind auch wesentlich mehr, als man mit eigenen Bemühungen um Kontakt und Kommunikation erreichen kann.

Unter dem Stichwort Netzwerkarbeit wird die Frage abgehandelt, wie diese Kontakte auszuwählen und zu gestalten sind.

Zumindest geht es um folgende Ebenen:

a) Hilfe für die Kinder und Jugendlichen, ihr eigenes, höchst persönliches, Netzwerk zu erhalten, auszubauen und krisensicher zu machen
b) Arbeit mit den relevanten Personen und Organisationen im Lebensfeld der Kinder und Jugendlichen
c) Aufbau von Kooperationsbeziehungen zu anderen Organisationen, deren Wissen und Tätigkeit Bezug zur eigenen Arbeit hat

Als theoretischer Hintergrund steht für diese Aufgaben eine Fülle von Literatur zur Verfügung (1), die sich mit der Organisation des gesellschaftlichen Lebens „bottom up“ beschäftigt, d.h. nicht unter dem Aspekt der hierarchischen Organisation von oben nach unten, sondern unter dem Aspekt der Selbstorganisation. Diese Selbstorganisation funktioniert neben und alternativ zu den formalen Strukturen des Staates. Inzwischen wurde erkannt, dass diese Strukturen für das Funktionieren sowohl der Gesellschaft im Allgmeinen als auch individuellen Lebens im Besonderen essenziell sind. Wenn vereinfachend etwa von einem Gegensatz oder Spannunsgfeld zwischen Individuum und Gesellschaft gesprochen wurde, so verdeckte das, dass das Feld der „Gesellschaft“ selbst heterogen ist, sich hier verschiedene Systemebenen aufschichten, die miteinander in Konkurrenz und/oder in einem wechselseitigen Ergänzungsverhältnis stehen. Von einem einigermaßen homogenen Körper der Gesellschaft kann also kaum gesprochen werden und „der Staat“ oder „die Nation“ als Bilder eines vermeintlich geschlossenen Systems wurden abgelöst von einer differenzierteren Sicht. Heute würde es abgesehen von einigen stark rechtslastigen Politikern kaum mehr jemandem einfallen, von „Volksgemeinschaft“ zu sprechen, wie dies etwa noch Alice Salomon als „Urmutter“ deutscher Sozialer Arbeit in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts getan hat. Allenfalls wurde noch „die Familie“ als „Keimzelle des Staates“ in Betracht gezogen, wobei auch diese durch eine angeblich naturhaft gegebene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Hierarchisierung in mikroskopischer Form die Organisation des Staates und der Gesellschaft widerspiegle.

Eine besondere Rolle bei der heutigen Sicht vom Funktionieren der Gesellschaft, die keineswegs mehr nur national gedacht wird, spielen Metaphern, die die hierarchische und letztlich homogene Aufschichtung der Gesellschaft durch andere Bilder in Frage stellen. Eine dieser Metaphern ist die der Zivilgesellschaft, eine die des Netzwerks. In diesem Beitrag sollen einige der zentralen Begriffe und Sichtweisen vorgestellt werden, die für eine bewusste Gestaltung und Nutzung der Potenziale von Selbstorganisation des (letztlich immer) gemeinschaftlichen (also: auf andere Menschen bezogenen, mit deren Leben und Handeln verwobenen) Lebens essenziell und hilfreich sein können. Das Auswahlkriterium ist, wie sollte es hier anders sein, die Praxis der Sozialen Arbeit. Was in dieser relevant werden kann, das versuche ich in der Folge als theoretisches und begriffliches Werkzeug zur Verfügung zu stellen.


9.1.2 Personenzentrierte Netzwerke

Als Infrastruktur der Lebensführung können wir jene gesellschaftlichen Funktions- und Regelsysteme voraussetzen, mithilfe derer wir unser Überleben im engen und Leben im weiteren Sinne organisieren (müssen): Die Organisation der „Wirtschaft“, des Finanzwesens, der Sozialversicherung, des Rechtssystems, die Normensysteme (z.B. jene, die die „moralischen“ Verpflichtungen gegenüber Verwandten regeln). Die Möglichkeit, unser Leben auf heutigem menschlichem Niveau durch Jagen und Sammeln im Verband der Sippe zu sichern, besteht praktisch nicht mehr (2).

In allem, was wir tun, um unser Leben und unsere Lebensmittel zu sichern, sind wir auf diese Systeme verwiesen. Sie sind uns vorausgesetzt, und günstigenfalls haben wir gelernt, mit ihnen zurande zu kommen. Trotzdem und notwendigerweise treten in der alltäglichen Lebensführung immer wieder Probleme auf.

Einen Großteil der Probleme des Alltags und der Lebensführung können Personen mithilfe ihres lebensweltlichen Netzwerks – also der Menschen, die sie kennen und zu denen sie Zugang haben – ganz ohne Zutun von professionellen Helferinnen und Helfern lösen. Soweit ihnen das möglich ist, werden sie das auch tun und der Eingriff von unterstützenden Funktionssystemen der Gesellschaft wäre eher störend als nützlich. Erst dort, wo natürliche Netze der Verwandtschaft, von FreundInnen und KollegInnen nicht hinreichen, ist gesellschaftlich organisierte Hilfe gefragt und sinnvoll. Und es gibt eine Reihe von guten Gründen, dass natürliche Netze nicht mehr alle nötigen Aufgaben erfüllen können:

a) die sogenannte „zweite Moderne“ hat eine Pluralisierung von Lebenslagen und möglichen Lebensentwürfen mit sich gebracht. Neben den scheinbar naheliegenden Formen der Lebensgestaltung werden auch andere Formen denkbar. Für jene „anderen“ Entwürfe finden sich im lebensweltlichen Umfeld oft nicht die geeigneten BeraterInnen.
b) Wir befinden uns in einer „heißen“ Phase der gesellschaftlichen Entwicklung: Das Leben der Großeltern kann nicht mehr umstandslos Vorbild für das eigene Leben sein, und deren Bewältigungsstrategien wären für die Enkel oft kontraproduktiv. Die Lebensverhältnisse und die Anforderungen ändern sich rasch.
c) Die Anforderungsstrukturen des Arbeitsmarktes und anderer Funktionssysteme fördern die Individualisierung, selbstständige Entscheidungen der Individuen und die Fähigkeit, sich ohne systematische Verständigung oder gewohnheitsmäßigem Abgleich der eigenen Aktionen mit den Wünschen und Traditionen der eigenen Herkunftsgruppe bewegen zu können. Das selbstständig entscheidende Individuum wird vorausgesetzt.

Die größere Selbstständigkeit, die Freiheit der individuellen Entscheidung, storniert die Bedeutung lebensweltlicher Netze wie jene der Verwandtschaft, der Peer-Groups, von Freundes- und KollegInnenkreisen jedoch keineswegs. Im Gegenteil wird auf neue Art die Unterstützung durch das lebensweltliche Umfeld zu einer Ressource, deren Qualität die Chancen auf individuellen Erfolg entscheidend mitbestimmt. Auf niedrigem Niveau der Inklusion bleiben die basalen Netze der Verwandtschaft jene, die auch im Krisenfall Unterstützung bereitstellen und ein völliges Herausfallen aus allen gesellschaftlichen Bezügen verhindern können. In akuten Lebenskrisen entscheidet die Qualität der basalen Netze wesentlich über die Chancen zur Bewältigung.

Trotz des unbestreitbaren Gewinns an individueller Freiheit, der mit den entscheidenden Lockerungen der Abhängigkeit von verwandtschaftlichen Beziehungen durch Individualisierung, Rechts- und Sozialstaatlichkeit verbunden ist, bleiben also die lockereren und gestaltbarer gewordenen Beziehungen im lebensweltlichen Umfeld eine wichtige und manchmal entscheidende Komponente der Lebenssicherung.

Wird in der Sozialen Arbeit von personenzentrierten Netzwerken gesprochen (3), so ist damit vorerst einmal ein bestimmter Aspekt gemeint, unter dem man sich der Komplexität von Beziehungen zwischen Menschen nähert. Eine Person, in aller Regel der Klient bzw. die Klientin, wird als Zentrum eines Koordinatensystems gedacht, in dem sich dann die Beziehungen dieser Person zu den Menschen des lebensweltlichen Umfelds entfalten. Beachtet man die Nähe/Distanz dieser Personen zur „Ankerperson“, beachtet man auch die Kontakte der Menschen des Umfelds untereinander (in denen sie Informationen auch über die Ankerperson austauschen und sich ggf. absprechen), so ergibt sich um die Ankerperson ein Netz von Beziehungen. In erster Linie interessieren diese Beziehungen unter dem Aspekt möglicher Unterstützung bei der Bewältigung von Problemen der Lebensführung, deshalb wird auch oft von einem Unterstützungsnetzwerk gesprochen. Aber mögliche Unterstützung ist nur ein Aspekt personenzentrierter Netzwerkbeziehungen. Wie wir alle wissen, können die Beziehungen zu unseren Mitmenschen nicht nur unterstützend, sondern mitunter auch anstrengend, belastend, ja geradezu schädlich sein. Sie sind ambivalent. Sie beinhalten sowohl unterstützende wie auch belastende Momente.


9.1.3. „Natürliche“ und professionelle Netzwerke

Als gleichsam natürlich erscheinen jene Netzwerksektoren, die nicht über Funktionssysteme der Gesellschaft bereitgestellt werden. Jene Netzwerke werden oft auch als „lebensweltliche“ Netze bezeichnet. In erster Linie ist dabei an das Verwandtschaftsnetzwerk gedacht, aber auch an jene Personen, die die Menschen bereits in ihrem Umfeld vorfinden und mit denen sie kommunizieren. Das Spektrum reicht also von den eigenen Eltern über Freunde/Bekannte bis zur Friseurin oder zum Würstlverkäufer.

Davon werden die professionellen Hilfssysteme unterschieden. Unterstützung geben die Angehörigen dieser Systeme in ihrer beruflichen Rolle. Das Engagement der professionellen Hilfssysteme wird subsidiär gedacht: Sie nehmen jene Aufgaben wahr, die innerhalb des „natürlichen“ lebensweltlichen Netzes nicht gelöst werden können.

So notwendig professionelle Hilfe in der Gesellschaft der Moderne zur Sicherung der Lebensführung für viele Individuen ist, birgt sie doch auch eine Gefahr in sich: Zumal professionellen HelferInnen als Lösung für Probleme aller Art immer wieder zuerst andere professionelle Hilfen einfallen („institution led assessment“), haben professionelle Netze die Tendenz zu wachsen und dabei die Kontakte der PatientInnen/KlientInnen zu ihrem „natürlichen“ Netz zu ersetzen. In einer ersten, frühen Phase der Unterstützung ist das Vorhandensein professioneller Netze geeignet, die Autonomie der Unterstützung suchenden Personen zu erhöhen, indem sie sie unabhängiger machen von den spezifischen Stärken und Schwächen, aber auch Normen ihres unmittelbaren persönlichen Umfelds. In der Folge allerdings kann es sein, dass die Abhängigkeit vom lebensweltlichen Netz durch die Abhängigkeit vom professionellen Netz ersetzt wird.

Netzwerkorientierte Soziale Arbeit versucht, dieser Tendenz entgegen zu wirken und richtet ihr Augenmerk auf die Stärkung der Funktionalität der lebensweltlichen Netze.


9.1.4 Lebens- und Zugangschancen: Das soziale Kapital

Pierre Bourdieu hat in die Diskussion die Benennung von Formen des „Kapitals“ eingeführt (4), die von Individuen eingesetzt und vermehrt werden können. Er sprach neben dem ökonomischen auch von symbolischem, kulturellem und sozialem Kapital. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem letzteres. Unter sozialem Kapital wird die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen verstanden, die mit der Teilhabe an dem Netz der sozialen Beziehungen, des gegenseitigen Kennens und Anerkennens, verbunden sind.

Soziales Kapital bietet für das Individuum einen Zugang zu den Ressourcen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens wie Unterstützung, Hilfeleistung, Anerkennung, Wissen und Verbindungen bis hin zum Finden von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Aus dem Kennen von Personen kann ein Informationsvorsprung entstehen (beispielsweise das Wissen um einen neuen Job, der noch nicht offiziell ausgeschrieben ist), der dann auch in einen Vertrauensvorschuss "umgemünzt" werden kann (wenn der Bewerber sich gegenüber dem Personalchef auf gemeinsame Bekannte als Informationsquelle beruft).

Es ist also einsichtig, dass das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von sozialem Kapital die Lebenschancen wesentlich beeinflusst. Netzwerkorientierte Soziale Arbeit interessiert sich daher für das soziale Kapital der Kinder und Jugendlichen und deren Eltern, versucht es wenn erforderlich zu ersetzen oder beim Erwerb von neuen Kontakten behilflich zu sein (5).

In der amerikanischen Diskussion (z.B. Fukuyama, Putnam) wird Sozialkapital eher als eine gesellschaftliche Ressource verstanden, nämlich als die Fähigkeit einer Gesellschaft zur Zusammenarbeit und zur Vernetzung. In wesentlichem Ausmaß ist die Existenz von nichtstaatlichen Organisationen zur Erbringung öffentlicher Leistungen Ausdruck dieses Sozialkapitals. Das führt uns zum nächsten Begriff, dem wir uns in Zusammenhang mit sozialen Netzen widmen sollten, nämlich dem der Zivilgesellschaft.


9.1.5 Gesellschaftliche Selbstorganisation: die Zivilgesellschaft

Der Terminus Zivilgesellschaft verweist auf jene Sphäre bürgerschaftlicher Selbstorganisation, die neben den staatlichen Organisationen existiert, gesellschaftliche Aufgaben übernimmt, die Gestaltung des Zusammenlebens wesentlich garantiert, und in der BürgerInnen ihre Interessen artikulieren. Sowohl Sportvereine als auch soziale Dienstleister wie die Caritas und Foren öffentlicher Meinungsbildung und Diskussion sind also Organisationen der Zivilgesellschaft.

Eine entwickelte Zivilgesellschaft ist für funktionierende Demokratie unerlässlich. Nur durch sie besteht die Möglichkeit freier Interessenartikulation, und nur durch die Zivilgesellschaft wird eine totale Abhängigkeit der Individuen von staatlichen Entscheidungen verhindert.

Ist also die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Zusammenschlüsse und Aktivitäten schon aus demokratiepolitischen Gründen wünschenswert, so stellen zivilgesellschaftliche Organisationsformen auch die wichtigsten Arenen für Partizipation und organisierte Solidarität dar. Soziale Arbeit, selbst oft in der Sphäre der Zivilgesellschaft angesiedelt, ist immer wieder auf lokale und regionale Netze verwiesen, um ihren KlientInnen Möglichkeiten sowohl der Hilfe als auch der Teilhabe zu eröffnen.

Auf lokaler Ebene sind es oft traditionelle Vereine, die den Korpus der Zivilgesellschaft ausmachen: Sportvereine, Pfarrgemeinden, die freiwillige Feuerwehr. Aber auch Kulturinitiativen, die Gewerkschaftsjugend etc. spielen hier eine Rolle. Das Bestreben integrativer und inkludierender Sozialer Arbeit besteht darin, einerseits selbst solche Gemeinschaften – auch abseits der traditionellen – anzuregen und zu fördern, andererseits für das eigene Klientel Zugänge zu Gemeinschaften zu eröffnen, die ihnen sonst verwehrt wären. Dafür ist die Pflege von Kontakten zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen unseres Arbeitsgebietes unerlässlich.

Damit wären wir bei jener Frage, die im Rahmen dieses Handbuches am meisten interessiert, nämlich bei den Möglichkeiten methodischer Arbeit mit den Netzwerken.


9.1.6. Netzwerkarbeit als Kernaufgabe Sozialer Arbeit

Wenn Netzwerke, von den Verwandtschaftlichen über die lokalen (zivil-)gesellschaftlichen bis zu den professionellen eine überragende Bedeutung für die Inklusionschancen haben, so muss eine systematische Arbeit an und mit diesen Netzen selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitsspektrums Sozialer Arbeit sein.

Tatsächlich zeigt sich eine Fülle von möglichen netzwerkbezogenen Interventionen der Sozialen Arbeit. Ich werde in der Folge beispielhaft solche Methoden anführen und kurz beschreiben (6).

a) Personenzentrierte Netzwerke
Die Arbeit an ihnen ist integraler Bestandteil von Individualhilfe. In der Kinder- und Jugendarbeit steht die Arbeit an personenzentrierten Netzen dann im Vordergrund, wenn wir einzelne Kinder und/oder Jugendliche in Problemsituationen unterstützen oder wenn wir – auf ihre Lebenssituation konkret eingehend – sie beraten.

b) Netzwerk-Coaching
Dies ist die Beratung und fallweise auch Begleitung von Kindern und Jugendlichen bei deren grundsätzlich eigenständigem Versuch, ihr lebensweltliches Netzwerk zu verbessern. Dazu gehören:
  • Hilfen, um Konflikte mit wichtigen Personen aus dem persönlichen Netzwerk zu lösen oder zumindest so weit zu entschärfen, dass auch Chancen auf Unterstützung realisiert werden können;
  • Beratung beim und Training für das Aufnehmen neuer Kontakte, zum Beispiel das Finden neuer FreundInnen und den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen zu KollegInnen;
  • Hilfe beim Rückbau allzu einengender und belastender Beziehungen;
  • Abbau von individuellen Barrieren, die eine Nutzung von Netzwerkressourcen behindern (z.B. Angst).

Beim Netzwerk-Coaching sollen die Kinder und Jugendlichen befähigt werden, sich Hilfe zu organisieren, und sie sollen lernen, durch eigenes unterstützendes Verhalten die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, im Bedarfsfall die benötigte Unterstützung auch zu bekommen. Netzwerk-Coaching ist in erster Linie eine unterstützende beratende Tätigkeit. Sie kann durch Trainings ergänzt werden.

c)Netzwerk-Konstruktion
Hierbei handelt es sich um die Entwicklung von neuen Bezügen und Kontakten. In der Kinder- und Jugendarbeit ist diese Arbeitsform grundlegend: In der Gruppe werden den Kids ja bereits Kontakte angeboten, die sie sonst nicht gehabt hätten. Darüber hinaus können aber auch weitere Bemühungen in diese Richtung sinnvoll sein. Wird die Pflege von einmal aufgebauten Beziehungen gefördert, kann das soziale Kapital der Kids systematisch vergrößert werden.

d)Netzwerk-Sessions
Darunter werden verstanden Zusammenführungen von Mitgliedern eines Netzes, um die Kooperation und die Zielgenauigkeit von Unterstützung zu verbessern. Netzwerk-Sessions können fallweise durchgeführt werden, wenn sich Kids oder Gruppen in einer schwierigen Lage befinden und gemeinschaftliche Auswege gesucht werden sollen.

e)Stützung der UnterstützerInnen
Dieses methodische Konzept versucht jenen lebensweltlichen UnterstützerInnen durch Anerkennung, Beratung und gegebenenfalls materiellen Support unter die Arme zu greifen, die Personen in Schwierigkeiten aushalten und/oder ihnen helfen. Man muss bedenken, dass die Belastung von HelferInnen oft sehr groß ist. Während sie die Belastung anderer teilen, mindern, abpuffern oder gar übernehmen wird ihnen von Dritten, vor allem von Professionellen, oft wenig Unterstützung zuteil.

Damit ist auch inhaltlich der Übergang von personenzentrierter Netzwerkarbeit zu einer personen- oder fall-übergreifenden Netzwerkarbeit markiert. Fallübergreifende Netzwerkarbeit hat zum Ziel, funktionierende Unterstützung im Bedarfsfall wahrscheinlicher zu machen. Sie ist nicht auf den Anlassfall beschränkt. Auch dazu Beispiele:

f)Peer Group Support
Bestehende Peer Groups (z.B. Cliquen und Szenen) sollen in die Lage versetzt werden, ihren Mitgliedern im Bedarfsfall Unterstützung zukommen zu lassen. Das kann durch die Verbreitung von Informationen (z.B. über Erste Hilfe im Notfall, über leicht zugängliche professionelle Untestützungssysteme etc.) geschehen, aber auch durch die Förderung von Haltungen gegenseitiger Verantwortung. Vor allem in der offenen Jugendarbeit gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, an den Selbsthilfepotenzialen der Peer Group anzuknüpfen und sie zu fördern.

g)Selbsthilfe-Gruppen
Die Anregung und Starthilfe zur Bildung von Selbsthilfe-Gruppen und ähnlichen Systemen gegenseitiger Unterstützung bietet Beratung und Absicherung der nötigen Ressourcen zum erfolgreichen Betreiben solcher Gruppen.

Schließlich sind noch jene Formen der Netzwerkarbeit zu nennen, die auf eine bessere Funktionalität von zivilgesellschaftlichen und professionellen Netzen zielen. Sie sind nicht mehr auf spezielle Personen oder Fälle bezogen. Hier wird die Nähe von Netzwerkarbeit und Gemeinwesenarbeit bzw. sozialräumlicher Arbeit besonders deutlich:

h)Community Support Systems
Diese schaffen ein Bewusstsein für die Stärken und Potenziale bestehender Gemeinwesen, vernetzen verschiedene Ansätze und organisieren sie u.a. mit dem Ziel einer politischen Einflussnahme für bessere Lebensbedingungen.

i)Vernetzung
Was gemeinhin Vernetzung genannt wird, ist die Verbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Austausch von Fachwissen und Erfahrungen und zur gemeinsamen Lobbyarbeit mit dem Ziel der Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen, aber auch und vor allem zum Zwecke eines abgestimmten Lobbyings für die Zielgruppen. Unter dem Stichwort „Advocacy“ wird ebenfalls die koordinierte anwaltliche Vertretung der Interessen der Zielgruppen verstanden. Die Chancen erfolgreicher Netzwerkarbeit sind auch davon abhängig, ob es den Akteuren gelingt, über den engen Kreis Gleichgesinnter hinaus noch Organisationen und Einzelpersonen mit nennenswertem Einfluss auf Entscheidungsgremien einzubeziehen. Im Sozial-Management werden solche Strategien oft auch unter dem Titel „Public Relations“ abgehandelt.

Gemeinwesenbezogen bieten sich weiters Strategien der Veröffentlichung von Problemen der Zielgruppen und der Mediation bei Konflikten zwischen den Zielgruppen und anderen lokalen gesellschaftlichen Akteuren an. Sie können Ausgangspunkt für die Schaffung von Akteursnetzen sein.

Dieser kurze Überblick mag andeuten, dass es eine Fülle von netzwerkbezogenen Aktionsmöglichkeiten gibt. Sie alle erfordern eine aktive Strategie, ein Zugehen auf andere Personen und Organisationen. Sie stellen also durchwegs hohe Anforderungen an die soziale Kompetenz der Fachkräfte sowie der freiwillig Engagierten. Besonders nützlich können dabei jene MitarbeiterInnen sein, die selbst reiche soziale Kontakte in anderen Systemen haben.

Methodisch verweist die Netzwerkorientierung auf die bereits bestehenden Netze aller Ebenen: personenbezogen, lokal, regional, überregional, international. Sie sind nicht nur zu einer Optimierung der professionellen Arbeit zu nutzen, sondern soweit möglich den Betroffenen direkt zugänglich zu machen.

Diesen Blick auf die Netzwerke und deren Unterstützungspotenzial zu haben, das heißt, sich im Herzen der Sozialen Arbeit zu befinden: Eine pädagogische, beratende, mediierende und materiell helfende Arbeit zu machen, die Menschen bei ihrer eigenen Lebensführung unterstützt, in ihrer Welt, in ihren Gemeinwesen. Und eine Arbeit, die die Gemeinwesen, die Cliquen und Familien dabei unterstützt, mit ihren Mitgliedern zu Rande zu kommen.




(1) Vgl. z.B. BÖHNISCH, LOTHAR/ SCHROER, WOLFGANG: Die soziale Bürgergesellschaft, Weinheim und München 2002; KLEIN, ANSGAR u.a. (Hrsg.): Zivilgesellschaft und Sozialkapital, Wiesbaden 2004; JANSSEN, DOROTHEA: Einführung in die Netzwerkanalyse, Opladen 2003.

(2) Eine gewisse Ähnlichkeit mir diesen frühen Formen menschlicher Lebensorganisation weisen die Lebensweisen von weitgehend ausgeschlossenen Individuen (den „Exkludierten“) auf, z.B. von Straßenkindern. Die quasi-natürliche Umwelt, in der sie ihren überlebenssichernden Tätigkeiten nachgehen, ist allerdings eine von Menschen geschaffene, der gegenständliche und soziale Raum der Stadt.

(3) Vgl. dazu auch PANTUCEK, PETER: Lebensweltorientierte Individualhilfe, Freiburg 1998, Kap.8.

(4) Vgl. BOURDIEU, PIERRE: Ökonomisches Kapital - Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In: Ders.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 1997.

(5) Vgl. Zu diesem Fragenkomplex auch die kritischen Analysen in KESSEL, FABIAN/ OTTO, HANS-UWE (Hrsg.): Soziale Arbeit und Soziales Kapital, Wiesbaden 2004.

(6) Das Beispiel eines einjährigen Projekts netwerkunterstützender und rekonstruierender Arbeit nach der Hochwasserkatastrophe 2002 ist z.T. repräsentiert in: Pantucek, Gertraud / Pantucek, Peter (2003): Hochwasser 2002, Grafenwörth - Kirchberg - Königsbrunn. Eine Text- und Bildchronik. St. Pölten.