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Ignoranz und mediale Empörung.

Kommentar, erschienen in Der Standard vom 3.2.2004.
Anmerkungen zum Umgang der so genannten Öffentlichkeit mit dem "Fall Christian": Warum können Trennungen nicht ähnlich zivilisiert und ritualisiert ablaufen wie Hochzeiten, fragt Peter Pantucek


Dramatische Bilder eines schreienden Kindes, überforderte Gerichtsvollzieher: Stoff für mediale Aufregung, Fernsehen und "Kronen Zeitung" berichten umfangreich.

Die üblichen verdächtigen Expertinnen und - vor allem - Experten haben Gelegenheit, ausführliche Eigeninserate abzugeben. Ungetrübt von einer Kenntnis des Falles wissen sie vor allem eines: Es braucht einen massiveren Einsatz ihresgleichen. Ein Mediator will flächendeckende Mediation, obwohl die Erfolgsaussichten von Mediation bei eskalierten Konflikten nur mäßig sind. Eine Neuropsychiaterin wünscht den Einsatz von Gutachterinnen, die ergründen sollen, bei wem das Kind sein "eigentliches" Heim hat, obwohl gerade die Zuspitzung auf diese Frage wesentlich für das andauernde Leid von Kindern aus Trennungsfamilien verantwortlich ist. Psychologinnen und Psychologen fordern psychologische Betreuung für alle Beteiligten. Sozialarbeiter/innen werden sicherheitshalber gar nicht gefragt.

Beachtlicher Markt

Keine Frage, mehr als 19.000 Trennungen, über 20.000 betroffene Kinder im Jahr, das ist ein beachtlicher Markt, und der will erobert werden. Erobert um den Preis der Pathologisierung eines zwar oft dramatischen und einschneidenden Lebensereignisses, das aber inzwischen genauso Teil des Alltags ist wie Hochzeiten oder Maturazeugnisse.

Auseinandersetzung um die Ehre

Die Trennung der Eltern noch betreuungsbedürftiger Kinder ist zwar sicher nichts gesellschaftlich Erwünschtes, nichtsdestotrotz aber erwartbare und massenhafte Normalität. Weniger normal ist der Umgang der Gesellschaft damit. Es bleibt den Betroffenen überlassen, selbst einen Modus zu erfinden - und viele sind damit überfordert. Unter dem emotionalen Druck der unvermeidlichen Verletzungen im Trennungsablauf wird der Kampf ums Kind allzu oft zum symbolischen Feld der Auseinandersetzung um die Ehre.

Aufmunitioniert werden die Kombattanten nicht selten von wohlmeinenden Ratgebern aus dem sozialen Umfeld. Alltagswissen darüber, wie Trennungen in Würde und unter Schonung der Kinder ablaufen können, ist rar, auch unter Lehrern, Kindergartenpädagogen, Ärzten.

Grotesker Ansatz

Selbst so genannte Experten tendieren – wie jüngst in der Debatte zum Fall Christian – dazu, das Heil darin zu suchen, dass die Kinder über ihren weiteren Verbleib entscheiden sollen. Ein grotesker Ansatz, der den Schwächsten auch noch die Last der Verantwortung aufbürdet. Kinder haben das Recht, Kind sein und Kind bleiben zu dürfen. Das heißt auch, dass man ihnen nicht eine Entscheidung zumutet, die den Erwachsenen zu schwierig ist. Die so schädlichen Versuche von Vater und Mutter, das Kind auf ihre emotionale Seite zu ziehen, werden damit eher angeheizt.

Gelöbnis

Es wäre hoch an der Zeit, dass Trennungen ähnlich zivilisiert und ritualisiert ablaufen können wie Hochzeiten. Ein gemeinsames Gelöbnis, als Vater und Mutter weiterhin Verantwortung für das Wohl des gemeinsamen Kindes zu übernehmen, sollte wohl ein Teil des Rituals sein. Vielleicht trüge dieses feierliche Bekenntnis dazu bei, dass der Sieg im Sorgerechtsstreit nicht mehr eine begehrte Trophäe wäre, sondern an seiner Stelle endlich die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Elternschaft als Zeichen einer erfolgreich bewältigten Trennung gilt.

Schmerzhafter Einschnitt

Eines weiß man über die Folgen von Trennungen der Eltern für Kinder nämlich ganz sicher: Jene Kinder verkraften diesen schmerzhaften Einschnitt in ihrem Leben am besten, die nicht einem Elternteil gegenüber illoyal werden müssen und die sich weiter darauf verlassen können, dass ihre Eltern als Elternpaar um sie besorgt sind. Dieses Vertrauen müssen sie nach dem ersten Schock langsam wieder aufbauen können, und die Eltern müssen es sich erneut verdienen.

Fraglich ist allerdings, welche Institution den Rahmen zur Verfügung stellen und das erforderliche Alltagswissen über gelungene Trennungen verbreiten könnte. Behörden wie die Jugendämter haben es versäumt, den möglichen Wandel zu einer anerkannten Servicestelle bei Unfällen des familiären Lebens zu vollziehen - im Gegenteil: Personell notorisch unterbesetzt, droht ihnen ein Rückfall in das alte Zerrbild der bösen Fürsorge.

Blinder Fleck

Noch ließe sich das ändern. Mit einem serviceorientierten Ausbau der Ämter für Jugend und Familie in Zusammenarbeit mit freien Trägern könnte sich die Familienfreundlichkeit der Politik einmal anders beweisen, als nur in Geldgeschenken für Frauen, die sich aus dem Arbeitsmarkt entfernen. Derzeit werden Fragen der Lebensbewältigung allerdings nicht als gesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen, sondern abgeschoben in die Schmuddeligkeit von Talkshows und auf den freien Markt der Lebensberatung, wo – männliche wie weibliche – Psychologen, Psychotherapeuten, Mediatoren, Psychiater und Angehörige auch weniger honoriger Professionen um die Marktanteile raufen.

Mit der Sorge der Gesellschaft um das Wohlergehen ihrer Kinder scheint es nicht weit her zu sein. Als wäre unsere Gesellschaft nicht auch in ihren sozialen Beziehungen einem rasanten Wandel unterworfen - und als wären es nicht "die Menschen", die gesellschaftliche Widersprüche und Probleme in ihrer persönlichen Lebensgestaltung zu lösen hätten, wie Ulrich Beck schon vor mehr als einem Jahrzehnt überzeugend dargelegt hat.

Ein weites Feld für interdisziplinäre Forschung und Entwicklung im Dienste eines besseren Lebens täte sich auf. Wenn, ja wenn es dafür auch den politischen Willen und ein wenig Geld gäbe.

Dramatisch eskalierende Fälle ließen sich wahrscheinlich auch so nicht vermeiden. Aber vielen Eltern und Kindern könnte geholfen werden, Trennungen und andere schwierige Lebenssituationen gut zu bewältigen.

"Innovative Sozialtechnologie"

Wenn's hilft, politischen Willen und Geld dafür zu lukrieren, kann man das ja immer noch "innovative Sozialtechnologie" nennen. Vielleicht gibt's dafür dann auch eine Hochglanzseite in einer Forschungs- und Entwicklungsbeilage im STANDARD.

(DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2004)
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