Nichts leichter, als sich mit Prophezeiungen zu blamieren. Die heutigen Trends können morgen uninteressant, unwesentlich werden. Das Neue von morgen wird vor allem dadurch neu sein, dass es so nicht vorausgesehen werden konnte. Und trotzdem: Die Fantasie der Zukunft zuzuwenden macht allemal mehr Spaß, als eine Ordnung im Vergangenen zu suchen &endash; was übrigens auch ein risikoreiches Geschäft sein soll.
Für diesen Beitrag will ich also das Risiko eingehen, mich zu blamieren. Mit dem Blick auf die kommenden Jahre sei versucht zu skizzieren, welche Aufgaben der Sozialarbeit bei der Entwicklung ihres Lösungspotentials harren. Ich verzichte dabei auf Katastrophenszenarien über die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Nicht weil es mir so unwahrscheinlich erschiene, dass die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen den gut versorgten und den vergessenen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes größer wird, sondern weil ich es für nötig halte, sich mit den Voraussetzungen zu beschäftigen, unter denen die Soziale Arbeit ihren Part bei den Integrationsbemühungen besser spielen kann.
Hier also einige Wünsche an die Zukunft:
Das schöne Märchen von der Einmaligkeit des österreichischen Sozialstaats verliert an Glaubwürdigkeit, die andere Seite des patriotischen Geisteszustands, der stille Glaube an die Inferiorität österreichischen Redens und Denkens, wird sich hoffentlich auch zusehends auflösen. Sozialarbeit wird in den nächsten Jahren internationaler denken müssen, will sie den Anschluss an die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht verlieren. Ich hoffe, dass bald nicht nur deutsche und Schweizer ReferentInnen als Gäste bei Fachtagungen auftreten, sondern hierzulande auch wahrgenommen wird, was es an interessanten Ideen und Modellen in Großbritannien, den USA, den Niederlanden, Israel usw. usf. gibt. Immer mehr Fachpublikationen werden auch in Österreich erscheinen, denn der Nachholbedarf ist groß. Buchbeiträge und Referate in englischer Sprache werden gelesen und gehört und verstanden und diskutiert. Von StudentInnen wird erwartet, dass sie zumindest ein Semester im Ausland verbracht haben. In manchen Arbeitsbereichen beginnt die Internationalisierung vorerst klein &emdash; als Blick über Bundesländergrenzen: Vielleicht gibt es ja demnächst erstmals eine gesamtösterreichische Tagung von JugendamtssozialarbeiterInnen. Das wäre doch schon ein Grund zum Feiern.
Kundeneinbindung
In meiner persönlich-professionellen Glaskugel sehe ich ein allmähliches Ende patriarchaler Vorstellungen von Fürsorge. Nach Überwindung der offen autoritären Fürsorge und der Ära des aufgeklärten Absolutismus könnte nun eine Zeit der selbstverständlichen Partizipation der KlientInnen und Klienten &emdash; möglicherweise umbenannt in Kundinnen und Kunden oder Nutzerinnen und Nutzer, aber das muss nicht unbedingt sein &emdash; heraufdämmern.
Neue Arbeitsbereiche
Das ist nun wirklich nichts Neues: Die Arbeitsfelder der Sozialarbeit sind ständig in Bewegung, neue entstehen, andere werden bedeutungslos. An der Bundesakademie f. Sozialarbeit in St.Pölten arbeiten wir an der Etablierung von Schul- und Betriebssozialarbeit, zweier Felder mit reicher internationaler Tradition, in Österreich aber seltsamerweise nahezu inexistent. Aber auch andere Felder werden entstehen, die Flexibilität wird weiter gefordert sein und hoffentlich gefördert werden durch
Neue Ausbildungen
Um die vorauszusagen, braucht man wahrhaft kein Prophet zu sein. Fachhochschulstudiengänge sind eingereicht, manche mit fantasievollen Namen, weitere werden hinzukommen. Postgraduale Studiengänge im Sozial- und Gesundheitsbereich sind bereits im Entstehen: an der Donau-Universität Krems zum Beispiel ein Universitätslehrgang "Soziale Arbeit und Sozial-Management" mit einem "Master of Advanced Studies"-Abschluss. Spezialausbildungen wie Mediation, Supervision etc. haben sich etabliert, die AbgängerInnen all dieser Ausbildungen drängen auf die gleichen Arbeitsplätze wie die DiplomsozialarbeiterInnen. Das ist nicht nur berufspolitisch ein Problem, sondern auch zunehmend ein Problem der Qualität. Der sozialarbeiterische Zugang als lebenswelt- und alltagsorientierter, als pragmatischer mit seinem Potenzial zur Arbeit in offenen und unbestimmten Settings, mit seinem besonderen Wissen um die Fallstricke der Beziehungsgestaltung und der Schwierigkeiten, nutzbare Hilfe zu inszenieren, mit seiner Ausrichtung auf Respekt und Dialog droht randständig zu werden. Weil der zahlenmäßige Output von SozialarbeiterInnen sich wohl kaum nennenswert steigern lassen wird, wird es nötig sein, sozialarbeiterisches Wissen gezielt in die anderen Ausbildungsgänge zu integrieren, deren AbsolventInnen im Feld landen. Und selbst wenn es manchen wie ein Sakrileg vorkommen sollte: Auch Studiengänge im Sozialen Feld werden durch die Nutzung moderner Informationstechnologie verändert werden.
Erweiterung des interprofessionellen Dialogs
Wir finden jetzt bereits in den Arbeitsfeldern des Sozialen Kolleginnen und Kollegen, die Soziologie, Psychologie, Pädagogik, aber auch Ethnologie, Philosophie, Theologie oder ein anderes geistes- oder sozialwissenschaftliches Studium absolviert haben. Im Zuge der Diskussion um die Erweiterung des Kunstbegriffsbeschäftigen sich Künstler mit sozialen Anliegen. Manche dieser Aktionen mögen naiv sein, aber es gilt m.E. in einen kritischen Dialog mit jenen einzutreten, die mit einem anderen professionellen / theoretischen / gedanklichen Bezugssystem einen Beitrag zu sozialer Integration leisten wollen. Sie seien ermutigt, ihre Sichtweisen zu überprüfen und produktiv zu machen. Und sie sollen uns ermutigen, unsere Ansätze zu überprüfen und zu verbessern. Die Soziale Arbeit und die mit ihr kooperierenden Disziplinen sollten zu einem Zentrum gesellschaftlicher Innovation werden.
Nutzung neuer Technologien
Die weitere Verbreitung des Internets wird zwar die Bedeutung des face-to-face-Kontakts nicht schmälern, aber neue Formen der Kommunikation mit Adressaten der Sozialen Arbeit eröffnen. Beratungsangebote per E-Mail werden schon bald eine Selbstverständlichkeit sein, die einfache Möglichkeit der Veröffentlichung im Netz ermöglicht es, den Kunden Sozialer Einrichtungen umfangreiche Informationen zugänglich zu machen. Ich freue mich auf Projekte in diesem Bereich: Via (begrenztem) Internetzugang auszutesten, wie porös Gefängnismauern in einer Welt der Kommunikationstechnologien sein können/sollen/dürfen. KlientInnen sozialer Einrichtungen bei der Gestaltung eigener Websites unterstützen &emdash; und das zum Anlass einer Rekonstruktion ihrer Biografie zu nehmen. Und so weiter.
Von der Qualitätssicherung zur Qualität
Nun, gegen Ende dieses Beitrags / Wunschzettels, kommen die großen, die wirklich wichtigen Wünsche. Ich wünsche mir eine Entwicklung weg von der Qualitätssicherung hin zur Qualität. Ich wünsche mir den Dialog mit den Betroffenen, vor allem mit den "Schwierigen". Ich wünsche mir, dass nicht mehr die Sozialeinrichtungen aussuchen, welche KlientInnen zu ihnen passen, sondern dass jene, die Unterstützung brauchen, aussuchen können, welche Hilfe für sie passt. Ich wünsche mir, dass man um sie wirbt. Ich wünsche mir, dass ich dazu einen Beitrag leisten kann.
Vor kurzem feierte der OBDS, der Berufsverband Diplomierter Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, seinen 50. Geburtstag. Eine Gitarrenband spielte im Wiener Rathaus auf: Alte Hadern aus den 50er, 60er und 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. In 10 Jahren wird vielleicht ein Verband Soziale Arbeit die Zukunft feiern: Mit aktueller Musik, in einem modernen Ambiente. Und es werden nicht die alten Herren und Damen meiner Generation das Bild bestimmen, sondern jene, die im Jänner 2000 noch gar nicht in diesem Berufsfeld gearbeitet hatten. Die haben dann vielleicht auch einen besseren Geschmack.