Sechs Fragen zum Umgang mit "schwierigen" KlientInnen in der Schuldnerberatung: Ein Antwortversuch.
Peter Pantucek
Zur Vorbereitung eines Seminars im November 1999 wurden von TeilnehmerInnen einige Fragen schriftlich gestellt. Hier die Fragen und die Antworten
Frage 1: Ist Hilfe zur Schuldenregulierung überhaupt sinnvoll, wenn das Hauptproblem wo anders (Alkohol, Drogensucht, Spieler, "Psychosen") liegt?
Es ist nicht verwunderlich, dass Sie sich diese Frage stellen. Auch die KlientInnen fragen sich das nämlich. Ihr Alltag, ihre Lebenssituation ist von einer Fülle von Schwierigkeiten gekennzeichnet, und sie müssen viel Kraft dafür aufwenden, mit und in diesen Schwierigkeiten leben zu können. So ist deren Skepsis, ob die Kraft noch reicht, sich an Lösungen zu wagen, verständlich.
Außerdem gebe ich zu bedenken, dass im Falle eines Lebens mit vielen Problemen ein Problem die "Lösung" des anderen zu sein scheint. Kurzfristig natürlich, aber doch immer wieder. Mich an eine große Aufgabe heranzuwagen, bedeutet immer auch, auf kurzfristige Lösungen zu verzichten. Und das bei ungewissen Erfolgsaussichten für das "große" Lösungsprojekt. Auch Süchtige wissen zum Beispiel, wie hoch die Rückfallsquoten sind. Und sie wissen, dass auf sie, wenn sie tatsächlich "trocken" geworden sind, viele neue Schwierigkeiten warten (z.B. ihre Schulden, ihre kaputten Beziehungen, ihre körperlichen Schädigungen, ihre Arbeitslosigkeit usf.).
Daher lautet die Antwort, die sich die KlientInnen auf die oben gestellte Frage geben, allzuoft NEIN. Es wird nichts getan, weil eine Aktivität ohnehin nicht alle Probleme lösen kann. Resignation ist das Resultat.
Aber auch ein uneingeschränktes JA ist als Antwort fragwürdig. Manche sehen von den Schwierigkeiten ab, unterschätzen sie. Der Lösungsversuch wird unternommen, während der Selbstbetrug weitergeht, dass alles nicht so schlimm sei. Der Anlauf zur Lösung ist unrealistisch, er hat die gleiche Struktur wie die problematische Lebensweise selbst. Ein solcher Versuch wird scheitern und später als Ausrede dienen, dass man "eh nix machen" könne.
Trotzdem gibt es eine Chance, und diese Chance braucht auch ein JA. Allerdings ein skeptisches und bescheidenes JA. Ein JA, das mit Rückschlägen rechnet und trotz des Wissens über die Möglichkeiten des Scheiterns den Versuch hoffnungsvoll wagt. Ein JA, das mit bescheidenen und machbaren, kleinen Zielen arbeitet. Das die Gesamtsanierung zwar als Möglichkeit im Blick behält, sich vorerst aber damit "begnügt", die Existenz abzusichern - als ersten Schritt. Vor allem: tun Sie das, was sicher hilft, sichern Sie die Heizung, die Wohnung, sorgen Sie dafür, dass den Gläubigern die Zahlungsunfähigkeit der KlientInnen mitgeteilt wird. Diese Schritte heben die Lebensqualität der KliientInnen mitunter entscheidend und schaffen vielleicht eine Basis, von der aus Weiterarbeit möglich ist.
Was Sie tun können, ist, mit den KlientInnen an einem solchen Versuch zu arbeiten, auch zu wissen, dass die Chancen des Scheiterns groß sind. Versuchen Sie sich in der Arbeit mit den KlientInnen an der Suche nach den machbaren Zielen - und unterstützen Sie sie dabei ohne überrascht oder enttäuscht zu sein, wenn die Rückschläge kommen. Sie können das leichter, Sie sind die Profis.
Frage 2: Darf/soll ich als BeraterIn meine Bedenken (Sucht) offen ansprechen?
Ja, das sollen Sie. Schämen Sie sich nicht dabei, aber belehren Sie die KlientInnen nicht, verurteilen Sie sie nicht - und unterstellen Sie Ihnen nichts. Sprechen Sie in Ich-Botschaften, und thematisieren Sie Ihre Wahrnehmungen, Ihre Eindrücke, Überlegungen und Bedenken. Es ist völlig ausreichend, KlientInnen mit dem zu konfrontieren, was Sie sehen. Sie müssen das nicht auch noch moralisch werten, das würde es den KlientInnen nur erleichtern, sich beleidigt zurückzuziehen. Sie wurden schließlich aufgesucht, um Hilfe zu geben, nicht um moralische Wertungen abzugeben. Dass es nicht gut ist, alkoholkrank zu sein, weiß der Klient selbst. Deswegen verschweigt er es ja und ist oft auf das Verleugnen bestens trainiert, ebenso wie auf die Abwehr gegen moralisierende Zeitgenossen. Es reicht, das Thema in Bezug auf das zu behandelnde Problem (hier: die Schuldensituation) abzuhandeln.
Ein gutes Beratungsgespräch braucht die Konfrontation - und eine gute Konfrontation braucht das gleichzeitige Hilfsangebot. Interessieren Sie sich dafür, wie der Klient unter den Bedingungen (z.B.) der Sucht zurechtkommt, und wie er unter diesen Bedingungen mit der finanziellen Situation klarkommen kann. Unterhalten Sie sich mit ihm, wie sie ihn dabei unterstützen können. Ihre Botschaft: "Ich sehe, dass Sie es besonders schwer haben. Ich suche einen Weg, wie ich Ihnen unter diesen Bedingungen angemessen helfen kann."
Frage 3: Gibt es "Kontrollfragen", wie man in einem Beratungsgespräch überprüfen kann, ob jemand seine Sucht (Alkohol- oder Spielsucht) wirklich im Griff hat?
Nein, solche Kontrollfragen sind mir nicht bekannt. Es kann auch keine geben. Was heißt es schon, seine Sucht "im Griff zu haben"? Heißt es, abstinent zu sein? Das wäre für viele KlientInnen ein nahezu unerreichbares Ziel. Heißt es, trotzdem seine Lebensgrundlagen aufrechterhalten zu können? In diesem Sinne haben viele Süchtige ihre Sucht (und ihr Leben) im Griff. Reicht das aus als Voraussetzung? Ist das vielleicht ein Ziel der Betreuung? Woran würden Sie merken, dass die KlientInnen die Sucht "im Griff" haben?
Auch der Besuch einer Therapie ist keineswegs ein einigermaßen vertrauenswürdiges Indiz dafür, dass die KlientInnen ihre Sucht "im Griff" haben. Der derzeitige Status des Klienten erweist sich in der Zusammenarbeit, und die wird immer (auch) von Rückschlägen gekennzeichnet sein. Und bedenken Sie: Viele Menschen können mit ihrer Sucht lange Zeit recht gut leben.
Fragen Sie die KlientInnen ganz einfach alles, was Sie interessiert. Sprechen Sie auch über die Sucht, sprechen Sie genau darüber, wie sie bei der Geldbeschaffung vorgehen und wie genau sie in Zukunft vorzugehen gedenken. Sprechen Sie mit ihnen über die Risken, die sich daraus bei der Schuldenbearbeitung ergeben. Und diskutieren Sie mit den KlientInnen, was sinnvoll ist/sein könnte.
Vielleicht kann man es zusammenfassend so formulieren: Bei der Arbeit mit "schwierigen" KlientInnen (also solchen, die mehr als nur ein Problem haben) kann man nicht nur über das Problem sprechen, sondern muss man über den Alltag, die Alltagsgestaltung sprechen. Und zwar genau.
Frage 4: Wie versucht man am besten ein "Nicht-Thema" zum Thema zu machen?
Ganz einfach: indem ich darüber spreche. Und sollte die Klientin nicht mit mir darüber sprechen wollen, dann führe ich halt ein Selbstgespräch, erzähle eine Geschichte (von einem anderen Klienten zum Beispiel). Ist das Thema unangenehm, bekomme ich vielleicht von der Klientin gar keine Reaktion - zumindest nicht sofort. Trotzdem hört sie, was ich sage, überlegt es sich wahrscheinlich. Spätestens beim nächsten Termin kann ich dann nachfragen, ob sie sich etwas dazu überlegt hat. Nun ist das Thema eingeführt.
Frage 5: Wie kann der Berater bzw. die Beraterin KlientInnen motivieren, geeignete Hilfe gegen das "eigentliche" Problem zu suchen?
Ich verstehe, was mit dieser Frage gemeint ist, und doch tue ich mir sehr schwer mit der Beantwortung. Ich möchte daher zuerst die Frage kritisieren - und mich beim Frager oder der Fragerin dafür entschuldigen, dass ich das tue.
Ich habe viele KlientInnen in vielen verschiedensten Problemlagen betreut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hätte jemals sagen können, welches ihrer Probleme das "eigentliche" ist. Die unterschiedlichen Schwierigkeiten, die Menschen haben, sind nie bloß Folgen eines Zentralproblems. So sieht es nur bei oberflächlichem Hinsehen für Beobachter von außen aus. Meist halten wir das für das zentrale oder "eigentliche" Problem, was wir am leichtesten benennen können, wofür es eine scheinbar klare Diagnose gibt. Es liegt nahe, einen Alkoholiker auf Entzug zu schicken. Das scheint eine klare Lösung eines klar umrissenen Problems zu sein. Vielleicht wäre es das auch, wenn es so einfach funktionieren würde mit den Entwöhnungen. Aber Menschen sind nun einmal widerständig und widerspenstig. Sie trauen ihren eigenen Erfahrungen mehr als den BeraterInnen und ÄrztInnen. Daher wehren sie sich mitunter auch gegen eine gutgemeint vermittelte Entwöhnung und beharren darauf, dass sie sich jetzt nicht die Schwierigkeiten eines Entzugs antun wollen, sondern nur Geld für ihren Lebensunterhalt brauchen. Sie halten das für ihr eigentliches Problem - und haben damit mindestens genauso Recht. So weit zum "eigentlichen" Problem. Ich beharre darauf, dass ich nicht weiß, was das sein soll, und ich glaube dabei die akkumulierte Erfahrung der CaseworkerInnen auf meiner Seite zu haben. Obwohl ich mir vorstellen kann, was Sie meinen.
Ähnliche Zweifel habe ich bei der "geeigneten Hilfe". Woran könnte man die erkennen? Für viele "schwierige" KlientInnen hat sich im Laufe der Jahre nahezu jede Hilfe als ungeeignet herausgestellt. Viele davon deshalb, weil sie sich für unzuständig hielten oder eine Kooperation der KlientInnen voraussetzten, zu der sie (noch) nicht fähig waren. Aber auch hier weiß ich, was mit der Frage gemeint ist: Die Schuldnerberatung fühlt sich wohl überfordert.
Doch nun will ich trotz meiner Einwände eine Antwort auf Ihre Frage versuchen. Es gibt nichts Motivierenderes als den Erfolg. Wenn es Ihnen gelingt, zumindest bescheidene Erfolge für die KlientInnen zu erreichen, dann wächst das Vertrauen der KlientInnen, dass sich ihre Lage doch verbessern lässt. Dann wächst auch das Vertrauen in Ihre Ratschläge. Und vermeiden Sie, KlientInnen nur zu einer anderen Einrichtung zu schicken. Begleiten Sie die KlientInnen. Begleiten nicht unbedingt im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne. Bereiten Sie den Weg mit ihnen vor, telefonieren Sie mit der Stelle in Anwesenheit der KlientInnen, besprechen Sie die Schwierigkeiten des Weges dorthin und die Ängste, die diesen Weg gefährden. Und vergewissern Sie sich, dass die KlientInnen dort auch angekommen sind. Machen Sie auf jeden Fall noch einen Termin mit ihnen aus, um mit ihnen zu besprechen, wie es ihnen ergangen ist.
Frage 6: Kann man Schuldnerberatung beenden, wenn sie "sinnlos" ist, weil das eigentliche Problem bei Sucht liegt? Wie kann man dabei vorgehen, ohne das Gegenüber in ein "tiefes Loch" zu stoßen?
Meine Bedenken, ob es so etwas wie ein "eigentliches" Problem überhaupt gibt, habe ich Ihnen schon oben erläutert. Es sei noch einmal daran erinnert, dass es viele Menschen gibt, die mit einer Sucht durchaus leben können - auch ohne ihre Existenz zu gefährden. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass es bei manchen KlientInnen vergeblich sein kann, sich um die Verschuldung zu bemühen, weil sie z.B. aufgrund ihrer Spielsucht es nicht schaffen, nicht ständig neue Schulden zu machen. Hier kann es sicher auch sinnvoll sein, die Schuldnerberatung vorerst zu beenden.
Was können Sie tun, um KlientInnen nicht noch verzweifelter zu machen, als sie möglicherweise ohnehin schon sind? Nehmen Sie sich Zeit, um mit den KlientInnen zu besprechen, was sie nun tun können. Hören Sie sich die Klagen an, zeigen Sie Mitgefühl. Es kommt nicht auf Ihre Rechtfertigung an. Sie müssen sich nicht entschuldigen und die KlientInnen müssen kein Verständnis für Sie haben. Die KlientInnen müssen das Richtige tun (d.h.: sich nicht aufgeben). Sprechen Sie daher mit den KlientInnen über deren Gefühle, vor allem aber über die nächste Zukunft, dann auch möglichst konkret über die Bedingungen, unter denen ein neuer Anlauf gemacht werden könnte. Möglichst konkret heißt: Eindeutige, überprüfbare Bedingungen für einen Neuanfang der Beratung.
Zusammenfassung
Ihre Fragen deuteten darauf hin, dass Sie sich mit den KlientInnen auseinandersetzen wollen. Dafür gebührt Ihnen Anerkennung. Ich konnte Ihnen keine einfachen Lösungen anbieten, einige bedeuten vielleicht auch Mehrarbeit. Ich kann Ihnen zusichern, dass sich diese Arbeit lohnt. Nicht nur Sie werden sich sicherer fühlen, sondern die KlientInnen werden es Ihnen danken. Nicht unbedingt durch Dankschreiben, aber Sie werden erkennen, dass sich die KlientInnen unterstützt fühlen. In manchen Fällen werden Sie vielleicht auch zählbare Erfolge haben. Es wird leichter sein, die zu erkennen, wenn Sie ihre Ziele realistisch setzen und anerkennen, dass Rückschläge keine Misserfolge sind, sondern notwendiger Teil des Lösungsprozesses.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren KlientInnen eine erfolgreiche und spannende Zusammenarbeit.