Wer "wählt" schon soziale Dienstleistungen? Nimmt sich ein Drogenabhängiger Kataloge vor, um jene Beratungsstelle zu wählen, die ihm die geeignetste und professionellste erscheint? Können Arme sich aussuchen, wo sie die beste Sozialhilfe bekommen? Entscheiden sich die Wohnungslosen freiwillig für eine Hilfseinrichtung?
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wären diese Vorstellungen absurd. Wer bedürftig ist, hat froh zu sein, überhaupt Unterstützung zu bekommen. Schließlich zahlt er die Leistungen nicht selbst und die Rechte und Möglichkeiten des zahlenden Kunden bleiben ihm so scheint es zu Recht verschlossen.
Und doch: Wir wissen inzwischen, dass es besser wäre, wenn Menschen auch hier Wahlmöglichkeiten hätten. Die Chance, dass sie genau die Hilfe bekommen, die sie brauchen, wäre größer. Noch größer wäre die Chance, dass sie die Unterstützung auch annehmen und für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation nützen könnten.
In gewisser Weise wählen Menschen in schwierigen Lebenslagen schon jetzt: Sie wählen, ob sie Unterstützung suchen und ob sie Hilfe annehmen. Sie wählen, ob sie an einer Verbesserung ihrer Situation aktiv mitarbeiten oder nicht. Sie wählen, ob sie sich Hoffnung leisten können. Oder ob sie sich keine Hoffnung leisten, weil sie eine weitere Enttäuschung nicht mehr ertragen würden.
Vom Ergebnis dieser Wahl hängt bereits jetzt ab, ob die Anbieter sozialer Dienstleistungen erfolgreich arbeiten oder ob ihre "Produkte" Ausschussware sind. Es ist eine Besonderheit dieser Angebote und unterscheidet sie grundsätzlich von stofflichen Produkten: der Kunde muss mitproduzieren, sonst wird nichts draus.
Wenn die Mündigkeit der Nutzerinnen und Nutzer also bereits jetzt ein wesentliches Kriterium für die Qualität sozialer Dienstleistungen ist, so sind Maßnahmen, die Bedürftige als mündige Bürgerinnen und Bürger ansprechen, Mittel zur Erhöhung der Qualität, zur Reduzierung von "Ausschussproduktion", zu einer höheren Effizienz beim Mitteleinsatz. Und umgekehrt: Was Bedürftige demütigt, entmündigt, den nötigen Respekt vermissen lässt, verschlechtert den Wirkungsgrad der eingesetzten Ressourcen.
Um Menschen die Wahlmöglichkeiten zu geben, braucht die "Soziale Branche" mehr als nur den einen staatlichen Geldgeber. Sie braucht die Chance, Innovation auszuprobieren, (nicht nur) gelegentlich eine PR-Kampagne zu machen. Und sie benötigt die Möglichkeit, zu zeigen, dass sie mitten in der Gesellschaft steht, nicht nur ein Klotz am Bein des Finanzlandesrats oder Finanzministers ist. Sie benötigt die Diskussion und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft für sich, und sie benötigt sie für ihr Klientel.
Die Vision von den mündigen Nutzerinnen und Nutzern sozialer Einrichtungen ist nicht überall beliebt. Nicht Mitarbeit und Wahlfreiheit, sondern Dankbarkeit und Demut wird von vielen als das angemessene Verhalten von Menschen in schwierigen Lebenslagen betrachtet. Gerade in der Wirtschaft weiß man aber, dass mit diesen Haltungen Erfolg unwahrscheinlich wird.
Kann Sponsoring zur Mündigkeit beitragen? Es kann. Indem Innovationen möglich werden, mithilfe von Sponsormitteln die PR-Arbeit als wichtige Voraussetzung für den Erfolg verbessert werden kann, indem es Forschung ermöglicht. Und indem Sponsoren laut davon reden, dass sie soziale Unternehmen und Organisationen unterstützen.
Der wichtigste Effekt für die Nutzerinnen und Nutzer ist vielleicht der, dass sie dadurch ein wenig vom Rand näher ins Zentrum dieser Gesellschaft kommen. Gesellschaftliche Akzeptanz äußert sich heute mehr denn je im sichtbaren Interesse von Geldgebern. Das Coca Cola - oder Red Bull-Signet signalisiert mehr "Normalität" als das des Sozialministeriums. Weniger ausgeschlossen zu sein gibt aber auch die Chance zu mehr Selbstbewusstsein, der so bitter benötigten Mangelware (siehe oben).
Und die Qualität? Eine Hoffnung: Der Weg aus dem Mangel und der ausschließlichen Abhängigkeit vom Staat ermöglicht Qualitätssteigerung und selbstverantwortliches Handeln. Sponsoren mögen an vielem interessiert sein, sicher nicht an einer dürftigen Qualität der von ihnen unterstützten Leistungen.
Mitten im Wandel unserer Gesellschaft, der den Menschen mehr Selbstständigkeit abverlangt und aufzwingt, sehen wir allerorten ein Paradoxon: Wer soziale Hilfe benötigt, wird von staatlichen Behörden noch oft genug wie ein Almosenempfänger behandelt und genießt kaum die basalen Konsumentenrechte, ein Aufbegehren gegen schlechte Qualität der Hilfe wird dann fälschlicherweise als Schmarotzertum oder Begehrlichkeit gebrandmarkt. Diese produzierte Unmündigkeit wiederum verschlechtert die Chancen auf Besserung. Daran werden Interessenorganisationen und die Politik etwas ändern müssen, will man nicht den nötigen sozialen Zusammenhalt schwächen. Die Wirtschaft kann dazu ihren Beitrag leisten, auch auf lokaler Ebene, aber nicht nur dort.