Kommunikation oder Instrumentalisierung?

Überlegungen zu einem Internet-Projekt aus der Sicht der Sozialen Arbeit

Peter Pantucek


Dieser Text wurde aus Anlass des Endes eines künstlerischen Web-Projektes mit Gefangenen im Februar 1999 geschrieben.


1. Statements am Ende eines Versuchs

Das Internet-Projekt von Sigrun Höllriegl und F.X. war als Kunstprojekt gestartet worden und endete durch ein Machtwort der Verwaltung. Das soll schon mehreren Kunstprojekten zugestoßen sein und wäre für jemanden, der sich beruflich mit Sozialer Arbeit beschäftigt, nicht weiter der Rede wert. Wären da nicht einige interessante Punkte, die Fragen der Sozalarbeit tangieren:

Das Projekt hatte einen sozialen Anspruch und es versuchte etwas, was auch SozialarbeiterInnen hätten versuchen können, nämlich mit Hilfe des Internets die Isolation von Häftlingen zu lindern. Man kann also sagen, dass sich hier DilletantInnen in Sozialer Arbeit versucht haben.

Nach dem abrupten Ende des Projekts entzündete sich eine Diskussion. Die Argumentationslinien einiger Diskutanten offenbarten eine verblüffende Naivität. Diskutierende Künstler schienen zu übersehen, dass Soziale Intervention nicht mehr unter bloß künstlerischen Aspekten überlegt und bewertet werden kann. Der Rückzug darauf ist der Versuch einer Immunisierungsstrategie. Politisch intervenierende Kunst wird sich auch mit politischen Maßstäben messen lassen müssen. Sozial intervenierende Kunst wird das Interesse z.B. der Sozialarbeit nicht als unzulässige Kontrolle abwehren können.

In diesem Beitrag soll ein sozialarbeiterisches Statement angedeutet, aber auch ein Dialog- und Kooperationsinteresse formuliert und konkretisiert werden.

2. Über das Verhältnis der Sozialen Arbeit zu anderen gesellschaftlichen Systemen

2.1. akzeptierend

Sozialarbeit ist mit Politik nicht deckungsgleich. Als Profession bezieht sie sich auf bestimmte gesellschaftliche Werte, vor allem auf die der Integration und der Menschenrechte, und zwar sowohl der individuellen Freiheits- als auch der Sozialrechte. Sozialarbeit steht in Konkurrenz zu gesellschaftlichen Subsystemen, die andere Prioritäten setzen, insbesondere zu Ökonomie und Verwaltung. Zumal sie sich nicht selbst finanzieren kann, ist sie in hohem Grade abhängig von gesellschaftlicher, überwiegend staatlicher Finanzierung. Strukturell ist sie somit an politische Bedingungen gekoppelt und agiert in erster Linie dort, wo andere (konkurrierende) ökonomische und politische Prioritäten die gesellschaftliche Integration gefährden. Sozialarbeit als Profession ist akzeptierend gegenüber den einmal entstandenen Bedingungen als Ausgangsbedingungen ihrer Arbeit, weil sie keine andere Wahl hat, weil sie ihre eigene Tätigkeit verunmöglichen würde, wenn sie sie an Vorbedingungen knüpfte. Unterstützung beginnt sofort und in der gegebenen Situation. Die Lage der Adressaten duldet keinen Aufschub.

Der Gestus der Nicht-Kooperation mit ausgrenzenden Behörden, Systemen, Mächten ist eine Form der Gesinnungsethik, die Sozialarbeit sich um ihrer selbst willen nicht leisten kann (sie würde verschwinden, an ihre Stelle würde bloße politische Agitation oder Aktion treten). In der Praxis droht die Instrumentalisierung des Klientels: an die Stelle der möglichen Hilfe tritt die Belehrung über den vorgeblich notwendigen politischen Kampf. Die Schwachen werden in Konflikte getrieben, in denen sie unterliegen müssen.

Sozialarbeit akzeptiert allerdings auch die individuellen Bedingungen, Sichtweisen, Ziele ihrer Klientinnen und Klienten als Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Dadurch kann sie nicht eins werden mit der Macht, will sie ihre Identität bewahren.

2.2. kritisch

Die soeben beschriebene Position eines doppelten Akzeptierens führt aber auch zu einer doppelten Kritik: zur unterstützend-kritischen Distanz gegenüber den KlientInnen, aber auch zur sozialen Kritik an den gesellschaftlichen Systemen.

2.3. intervenierend

Sozialarbeit behauptet die eigene Nützlichkeit und versucht, schon durch die Durchsetzung der eigenen Arbeitslogik Systeme zu irritieren. In der Justiz stellen Bewährungshilfe und die Sozialen Dienste in den Justizanstalten (inzwischen) gut verankerte, sozusagen institutionalisierte, Irritationen dar. Der VBSA interveniert durch Innovationen, durch sein (erworbenes) Gewicht in Sachen Strafrecht, Strafvollzug, soziale Folgen der Fallbehandlung durch das Justizsystem.

2.4. verhandelnd

Fallbezogen und systembezogen beschränkt sich Sozialarbeit nicht auf die Irritation, sondern pflegt lästig zu verhandeln. Sie konfrontiert Menschen (und Organisationen) mit ihren eigenen Ansprüchen und den Ansprüchen anderer, um Veränderungen zu erreichen.

3. Die Faszination von Gefängnissen

Gefängnisse sind faszinierende Anstalten: Für jene, die sie noch nie von innen erleiden mussten, stellen sie eine überschaubar exotische Separatwelt dar. Die Gefangenen können nicht davonlaufen, das ist auch für ForscherInnen eine günstige Ausgangsposition. Und zumal in ihnen und durch sie offen und permanent Zwang ausgeübt wird, eignen sie sich als Exempel und als Metapher für Gesellschaftskritik.

Zum "Kerngeschäft" des Gefängnisses gehört die Beschränkung der Kommunikation der Häftlinge mit der Außenwelt, also ihre relative Isolierung gegenüber dem normalen Strom des gesellschaftlichen Alltags. Diese Isolierung ist selten eine vollständige. Einige Kontakte nach draußen bleiben aufrecht, unterliegen jedoch einer strengen Beschränkung und Kontrolle. Für Kontakte via Internet wird es nicht anders sein, denn wenn es ein Ziel gibt, das Gefängnisse tatsächlich einigermaßen (noch) erreichen, so ist es, dass sie Straftaten der Insassen in der Gesellschaft "draußen" zumindest für die Dauer der Haft weitgehend verhindern. Relativ freies Agieren der Häftlinge im Netz wird es also nicht geben können. Im Rahmen eines Projektes, und sei es eines künstlerischen, könnte man vielleicht die Gefängnismauer sprengen (kurzfristig Vollzugang ermöglichen), aber sie würde schnell wieder aufgebaut. Die SprengmeisterInnen könnten sich als HeldInnen fühlen und als VorkämpferInnen für eine Welt der Freiheit, die Häftlinge allerdings hätten nichts gewonnen. Der Unterschied zwischen symbolischen Aktionen und subjektbezogener Arbeit an verbesserten Lebenschancen ist groß.

4. Laien (Künstler) und ihre Vorzüge

Soziale Arbeit ist nicht nur die Sache von Profis. Die prekäre Lage vieler Menschen in einer im Prinzip reichen Gesellschaft wird von vielen Menschen mit den unterschiedlichsten weltanschaulichen Hintergründen als auch persönliche Herausforderung gesehen. Das Potential an Engagement und Veränderungswillen, das sogenannte Laien einbringen, ist eine wichtige Ressource, ohne die vieles nicht machbar wäre.

Die Stärke von Laien ist gleichzeitig ihre notorische Schwäche. Das moralische (bzw. politische) Engagement ist noch nicht durch die Routine der informierten Selbstreflexion gebremst. Mitunter hat das für jene, denen geholfen werden soll, unerfreuliche Nebenwirkungen.

Ich unterstelle KünstlerInnen ein besonders hohes Potential an innovativen Ideen sowie Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit von Menschen. Der Dialog mit ihnen kann wahrscheinlich Innovationen fördern. Aber wie jedes andere gesellschaftliche Subsystem hat auch die Kunst ihre Eigendynamik und ihren Autismus. Der Dialog ist daher auch erforderlich, um eine Instrumentalisierung der Gefängnisinsassen zu verhindern.

5. Inszenierter Respekt

Wesentlicher Kern sozialarbeiterischer Professionalität ist die Inszenierung eines respektvollen Umgangs mit ihrem Klientel und die selbstkritische Skepsis gegenüber allen, die meinen, sie wüssten selbst am besten, was für die Betroffenen gut sei.

Für die Arbeit im Häfen heißt das unter anderem: Kommunikation mit einer ausgewählten KünstlerInnengruppe via Internet hat noch nicht unbedingt etwas mit Aufhebung der Isolation zu tun. Dazu ist die KünstlerInnengruppe zu irrelevant für den (auch zukünftigen) Alltag der Häftlinge. Die Struktur dieser Kommunikation ist, um einen bösen Vergleich anzustellen, vielleicht ähnlich dem Dialog zwischen Publikum und Zoo-Primaten.

Respektvoll ist ein Dialog, wenn sein Ausgang, aber auch sein Verlauf, nicht vorbestimmt sind. Die Aneignung von Skills (z.B. die grundsätzliche Beherrschung des Geräts) steht wohl am Anfang, über die Verwendung dieser Fertigkeiten sollten aber die Betroffenen ein Wort mitzureden haben.

6. StudentInnen: beobachten, kommunizieren und reflektieren

Im Zuge des Chat- und Mailinglist-Projekts war eine Kooperation mit einer Gruppe von Studenten der Akademie für Sozialarbeit St.Pölten vorgesehen. Die hätten das getan, was auch die KünstlerInnen getan haben: Mitreden und, als Voraussetzung dafür, beobachten. Interessant ist, dass von einigen beteiligten KünstlerInnen die eigene Beobachtung nicht als Kontrolle interpretiert wurde, die Beobachtung durch Nicht-KünstlerInnen allerdings sehr wohl. Wahrscheinlich wäre diese seltsame Kommunikationssituation thematisiert worden. M.E. hätten daraus alle Seiten Gewinn schöpfen können.

7. Die überanstrengte Metapher des Panoptikons.

In der Diskussion über die Häfenprojekte spielte mit Berufung auf Foucault das Bild des Panoptikons als architektonischer Ausdruck der totalen Kontrolle eine große Rolle. Mir scheint es wichtig, auf die Grenzen dieser Metapher hinzuweisen. Meine Entscheidung für den Blick auf die kontrollierende Macht lässt die Kontrollierten nur als Objekte der Kontrolle ins Bild kommen. Insofern verdopple ich die Missachtung ihrer Persönlichkeiten, ihrer Biografien, ihrer Subjektivität.

Unterstützung zu geben erfordert zuallererst die Herstellung von Bedingungen, unter denen die von mir als Opfer betrachteten Menschen den Opferstatus zumindest in der Kommunikation mit mir ablegen können. Diese subtile Aufgabe sollte wieder angegangen werden. Ich bin weiterhin überzeugt, dass Kommunikation via Computer dafür gut geeignet ist. Ohne Beobachtung und Selbstbeobachtung wird es allerdings nicht gehen.