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Festrede Sponsion 2015

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Festrede zur Sponsion an der FH St. Pölten, 2. Juli 2015. 

Peter Pantucek-Eisenbacher

 

Sehr geehrte AbsolventInnen,

liebe Festgäste,

wir feiern heute 50 Absolventinnen und Absolventen, die Masterprogramme an unserem Department Soziales erfolgreich abgeschlossen haben. Den Master Soziale Arbeit, den Master Sozialpädagogik, den Master Suchtberatung und Prävention.

Unsere Masterprogramme sind anspruchsvoll. Wir sind uns der Verpflichtung bewusst, für das Sozialwesen in Österreich Personal zu qualifizieren, das bereit ist für Innovationen, das Praxis kritisch hinterfragen und neue Konzepte erstellen und umsetzen kann. Dafür benötigt es akademische Tugenden: das Fragen nach den Fakten, der Evidenz. Das Suchen nach Erfahrungen anderswo. Die Bereitschaft zur kritischen Diskussion. Die Fähigkeit, das eigene Handeln einem Fachpublikum ebenso zu erläutern wie einem Laienpublikum. Alle unsere Absolventinnen und Absolventen haben forschend gelernt und haben mit ihren Masterthesen bewiesen, dass sie forschen, interpretieren und Schlussfolgerungen ziehen könnenSo weit scheint das alles selbstverständlich. Aber so selbstverständlich war das vor gar nicht allzulanger Zeit noch nicht. Lange Zeit wurde Soziale Arbeit bloß als untergeordneter Beruf verstanden, angeleitet von Juristen, Psychologinnen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Unser Standort hat schon früh damit begonnen, die Soziale Arbeit als wissenschaftsbasierten Beruf zu begreifen und für eine Entwicklung als akademische Disziplin zu wirken. Monika Vyslouzil, heute Leiterin unseres Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung und Kollegiumsvorsitzende der Hochschule, war eine der frühesten und erfolgreichsten Aktivistinnen für die Akademisierung der Sozialen Arbeit.

 

Ich muss jetzt etwas erklären: Es gibt eine kleine Begriffsverwirrung in unserer Branche. Die Disziplin speist sich aus zwei Quellen:

Zum einen gibt es das, was wir Sozialarbeit nennen. Am Anfang der Sozialarbeit stand die Frage, wie organisierte Hilfe wirkungsvoll eingesetzt werden könnte. Mary Richmond und Jane Addams in den USA und in Österreich Ilse Arlt und Rosa Dworschak standen und stehen für diesen Zugang. Aus dieser Frage heraus hat die Sozialarbeit Instrumente der Diagnose, der Inszenierung von Beratung und des Aufbaus und Managements von Hilfearrangements entwickelt. Hier haben wir eine Nähe zur Soziologie und Beratungskonzepten.

Die zweite Quelle war die Tätigkeit von Erzieherinnen und Erziehern. Wie kann die Sozialisation, das Lernen von biographisch benachteiligten Kindern und Jugendlichen  unterstützt werden? Was wir heute Sozialpädagogik nennen, hat inzwischen ein weiteres Verständnis von Bildungsprozessen gewonnen und beschränkt sich nicht mehr nur auf stationäre Ersatzerziehung. Es hat die Gestaltung von individuellen und kollektiven Bildungsprozessen in seinem Fokus. In Österreich hatten wir August Aichhorn als Pionier einer wissenschaftlich informierten und innovativen Sozialpädagogik, damals auf einer psychoanalytischen Grundlage. August Aichhorn und Rosa Dworschak waren ein Paar. Nicht nur wissenschaftlich, sondern auch privat. Rosa war Sozialarbeiterin (so würden wir es heute nennen), August war psychoanalytisch gebildeter Erzieher. Sie zusammen machen das aus, was wir heute Soziale Arbeit nennen. Soziale Arbeit, das ist ein Überbegriff für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Die beiden Zugänge sind eng verwandt, und doch verschieden. August und Rosa haben viel voneinander gelernt, und wir können viel voneinander lernen.

Diese Sponsion ist die erste, bei der wir Absolventinnen und Absolventen sowohl aus dem Sozialarbeites-Master als auch aus dem Sozialpädagogik-Master ehren dürfen. Wir sind der erste FH-Standort, der diesen Schritt gegangen ist. Er war wohlüberlegt und gut vorbereitet. So gut wir in der Sozialarbeit bereits national und international vernetzt waren, wollten wir auch für unsere Sozialpädagogik-Angebote die Verbindungen mit der Fachcommunity und der wissenschaftlichen Community aufbauen. Das ist in den letzten Jahren gut gelungen. Wir können bilanzieren, dass wir nun als Standort für beide Zweige der Sozialen Arbeit angesehen sind. Und wie wir meinen, kann sich das nur weiter verbessern, wenn unsere Absolventinnen und Absolventen ihren Weg im Praxisfeld machen werden.

Unser Standort hat in der Community den Ruf, eigensinnig zu sein. Wir repräsentieren nicht den Mainstream, wir haben ein Profil, und wir stehen für manchmal gewagte Innovationen. Verbunden ist das aber mit einer soliden Lehre, sodass unsere Absolventinnen und Absolventen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Wir freuen uns darüber, dass das Land Niederösterreich neuerdings das Leitungspersonal der Sozialverwaltung in den Bezirken in einem eigenen Lehrgang von uns auf akademischem Niveau schulen lässt. Wir können so dazu beitragen, dass die Verwaltung, von der die Lebenschancen vieler Klientinnen und Klienten abhängen, moderner wird, gemeinwesenorientiert agiert. in einem Jahr werden wir auch Master des Managements im Sozialwesen hier spondieren können.

Die Branche, für die wir das Personal auf Hochschulniveau ausbilden, ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Trotz punktueller Rücknahmen sozialstaatlicher Leistungen wachsen die Ausgaben des Staates für das Sozialwesen weiterhin. In immer mehr Einsatzbereichen wird Personal benötigt, die Qualitätsanforderungen an die Qualifikationen steigen. Unser Hochschulstandort hat in den letzten Jahren expandiert. Wir hatten in diesem Semester bereits über 430 Studierende in unseren Studiengängen und Lehrgängen. Vor einigen Jahren waren es noch 250. Mit dieser Zahl an Studierenden können wir aber weder die Nachfrage nach Studienplätzen abdecken, noch die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Das Praxisfeld würde noch viel mehr gut qualifiziertes Personal benötigen.

Nicht alle Gründe dafür sind erfreulich. Sie wissen, dass die Schere zwischen arm und reich in vielen Ländern, so auch in Österreich, auseinandergeht. Dazu schafft das schlechte Management der Migration weitere soziale Verwerfungen. Neuerdings sind wir durch das Zusammenbrechen staatlicher Strukturen und die resultierenden grausamen Entwicklungen in Syrien, Lybien und auf anderen Kriegsschauplätzen sowie durch die wirtschaftlich aussichtslose Situation in einigen afrikanischen Staaten weltweit mit Flüchtlingsströmen konfrontiert. Einige kleinere Ausläufer davon erreichen auch Österreich. Die hier Zuflucht suchenden Menschen benötigen Hilfe.

Es gibt aber auch erfreulichere Gründe für das Wachstum der Sozialen Arbeit. Die deutlich gestiegene Lebenserwartung erfordert nicht nur neue Lösungen für die Pflege, sondern auch neue Modelle für die Unterstützung des sozialen Lebens älterer Menschen. Die Inklusionsforderung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bringt neue Organisationsformen der Hilfe abseits von Verwahrung. Und in der Kinder- und Jugendhilfe scheint ein Prozess der Reform in die Wege zu kommen.

Wir versuchen, uns mit all diesen Fragen forschend und Lösungen entwickelnd zu beschäftigen. Neben dem Handwerkszeug für die Einzelfallbearbeitung benötigen Profis der Sozialen Arbeit heute die Fähigkeit, sich auf diese neuen Herausforderungen einlassen zu können, gestaltend zu wirken. Ein Thema, das uns ein Anliegen ist, ist ein demographischer Wandel der anderen Art: Die schleichende Ausdünnung peripherer Zonen in diesem Land. Wie kann in diesen Zonen die soziale und die Gesundheits-Versorgung aufrecht erhalten werden? Auch dafür sind neue Lösungen zu suchen und zu finden. In Fragen von Public Health und von Community Care spricht Soziale Arbeit ein gewichtiges Wort mit.

Strukturell hat Ilse Arlt, nach der unser Forschungsinstitut benannt ist, bereits einiges vorgedacht zu den meisten dieser Themen, aber der Fundus an Wissen, den wir heute dazu nutzen können, ist natürlich ungleich größer, als er vor 80 oder hundert Jahren war. Und wie das so ist: Es wächst nicht nur das Wissen, sondern mit dem Wissen wächst auch das uns bekannte Unwissen. Wir wissen heute auch, was wir alles noch nicht wissen. Der Hunger nach neuem Wissen, nach neuen Lösungsmodellen ist da, und er wird größer und größer.

Liebe Absolventinnen, liebe Absolventen, Sie haben nun ein Masterstudium abgeschlossen. Ich hoffe doch, dass während des Studiums und durch das Studium das Ihnen bekannte Unwissen größer geworden ist. Dass Sie also die Hochschule mit der Überzeugung verlassen, dass Sie noch viel zu lernen haben.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Überzeugung gewonnen haben, dass wir viele Zugänge brauchen, um Inklusion zu fördern, unsere Vision einer Gesellschaft, in der allen ein erfülltes Leben möglich ist. Dass wir dafür die Zusammenarbeit brauchen, und keinen Standesdünkel. Dass es unangemessen ist, sich ein berufliches Schrebergärtlein einzurichten und es eifersüchtig zu verteidigen. Dass wir neugierig und wertschätzend aufeinander zugehen müssen, wenn wir unser Handwerk erfolgreich ausüben wollen. Und dass wir als Profis und als Bürger und Bürgerinnen für eine gutes Leben ermöglichende Gesellschaft einzutreten haben.

Rosa und August, das Paar von Sozialarbeit und Sozialpädagogik, wenn sie hier sitzen könnten, würden die beiden Sie beglückwünschen zu ihrem Studium, zu Ihrem Einsatz bei diesem Studium. Und ich bin sicher, sie würden Ihnen raten, jetzt erst so richtig mit dem Lernen zu beginnen. Zum Lernen mit Ihren Klientinnen und Klienten, zum Lernen bei Ihren Versuchen, unseren Planeten ein wenig besser bewohnbar zu machen.

Und ich gratuliere Ihnen auch. Persönlich, und im Namen des Teams der Lehrenden. Ich kann Ihnen sagen: Wir wollen Sie nicht verlieren. Wir sind interessiert an Ihrem weiteren beruflichen Weg. Der Alumni-Klub der Hochschule bietet Ihnen die Möglichkeit, Kontakt zu halten. Und ich würde mich besonders freuen, Sie bald als Mitglieder der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit, unserer fachwissenschaftlichen Gesellschaft, begrüßen zu dürfen. Persönlich vielleicht bei deren nächster Tagung. Oder auf dem Herbstsymposium der Hochschule, beim Social Work Science Day 2016. Oder die eine oder den anderen als Dissertantin, auch dabei sind wir gerne bereit, Sie zu unterstützen.

Sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen, ich verabschiede mich von Ihnen. Ich bedanke mich für all das, was wir von Ihnen lernen konnten. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre künftige Berufslaufbahn und für die vielen Lernerfahrungen, die Ihnen noch bevorstehen.

Seien Sie gute Sozialarbeiterinnen, gute SozialpädagogInnen. Sie haben nicht nur einen Beruf, Sie haben eine Mission, zu der Sie sich mit der Eidesformel bekennen werden. Die österreichische Gesellschaft braucht Sie, die KlientInnen brauchen Sie, die Fachcommunity braucht Sie, die anderen Professionen und die Politik brauchen den Dialog mit Ihnen, auch wenn man ihnen den manchmal aufdrängen muss. Was kann es schöneres und spannenderes geben?!