Der 2020 Krisenblog

Neunter Tag

Vor einer Woche habe ich begonnen, täglich zumindest die allseits empfohlenen 10.000 Schritte zu wandern – mein iPhone zählt brav mit. Damals vermieden die meisten Entgegenkommenden sogar den Blickkontakt, als wäre der auch eine Gefährdung, oder als schämten sie sich. Heute grüßte die Mehrheit, mit kurzem Blickkontakt, einem Nicken. Einmal hörte ich eine Säge, irgendwo in Stammersdorf, einen guten Kilometer entfernt. Erinnerungen an lang vergangene Zeiten, an die Ambient Soundscapes der Sommerfrischen am Land. Die gackernden Hühner und der krähende Hahn fehlten heute allerdings.
Es gab erst eine ähnliche Situation in meinem Leben. Als Zivildiener waren wir mit dem Rettungswagen eine Böschung hinuntergekullert und ich war verletzt, musste zwei Monate zu Hause bleiben. Damals hatte ich Schwierigkeiten, einen Tagesrhythmus zu halten – naja, ich hab´s gleich gar nicht versucht – hab mir eher zu viel Eigenmedikation mit Alkohol verabreicht und zugenommen hab ich auch prächtig. Jetzt: nichts dergleichen. Wie weit ist es nur mit mir gekommen?!
Inzwischen schwenken fast alle Länder auf die radikalen Maßnahmen um. Das tun sie nicht, weil die Regierungen so viel Lust auf Diktatur hätten, mit der kommenden Wirtschaftskrise handeln sie sich ja Riesenprobleme ein. Soweit es mich betrifft, will ich Debatten darüber, ob man irgendwas hätte anders machen können, erst nachher führen, wenn man Distanz und hinreichend Daten hat. Es liegt mir nix daran, mit Halbwissen (oder Unwissen) danebenzustehen und für einen vermeintlich alternativen Ansatz zu plädieren, nur weil mir der irgendwie auch plausibel vorkommt. Übrigens: Einer hat doch Lust auf Diktatur. Meister Orban wird seine Allmacht kriegen, leider. Und unsere Union wird ihre liebe Not damit haben, damit auch noch.
Heute wurde wohl vielen klarer, dass wir uns noch lange in diesem Krisenmodus befinden werden. Nun auch die Olympischen Spiele verschoben, die erst im Sommer stattfinden hätten sollen. Nach Ostern wird es ähnlich weitergehen wie bisher, meinte der Kanzler, und der neue Maturatermin wird wohl auch nicht halten (meine ich). Da könnte man schon ein wenig geknickt sein, wie die Halme auf dem Feld.
Wertvolle Nahrung ist eingetroffen: Die neue Nummer von Lettre International. Auf dass meinereins nicht verdumme in den nächsten Wochen.
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