Der 2020 Krisenblog

Dreiundzwanzigster Tag

Wie ist das mit der Freiheit in diesen Zeiten? Worin besteht sie? Ist sie gegangen und besteht die Gefahr, dass sie nicht wiederkommt, zumindest nicht in dem Ausmaß, das „vorher“ da war?
Bisher sind alle Einschränkungen, die wir erleben, nachvollziehbar, vorausgesetzt, man verlangt nicht für sich selbst das Recht, das Wohl des Gemeinwesens zu ignorieren, von dessen Funktionieren ja auch jeweils unsere individuellen Möglichkeiten des Lebens abhängen. Man könnte also sagen, dass das akzeptieren der Einschränkungen in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse liegt. Wir sichern so das Funktionieren der Gesellschaft, ohne die wir unsere Pläne nie verfolgen könnten.
Interessant ist dabei allerdings, dass wir so gravierende Beschränkungen wie zum Beispiel die unserer Bewegungsfreiheit relativ gelassen hinnehmen. Zugegeben, sie wird zumindest teilweise substituiert durch die Verfügbarkeit des Internet. Aber: es gibt Grenzschließungen, und das wohl auf längere Zeit. Werden wir uns an die gewöhnen? Wird der Massentourismus wirklich gleich nach Ende der Krise wieder voll hochfahren und werden wir die Welt wieder kreuz und quer bereisen? Oder lernen wir in diesen Monaten, dass das auch eine – möglicherweise überflüssige – Form der Alltagshektik ist? Die Austrian Airlines scheinen das zu fürchten. Sie meinen, dass sie erst 2023 wieder einen Geschäftsgang wie vor der Krise haben werden. Macht mir das Sorgen?
Vorerst können wir sagen, was wir wollen. Dass uns jemand widerspricht, das war auch früher schon so und nur die Rechten fanden bisher, wahre Meinungsfreiheit hieße, dass sie immer Recht behalten. Vorerst können wir uns zwar nicht in Real Life, aber via Internet, anschauen, was wir wollen. Vorerst können wir Pläne schmieden und verfolgen. Vorerst wurde kein Kommandosystem eingeführt und unsere individuelle Zukunft wird nicht von anderen geplant. Vorerst sind wir frei, obwohl wir in unseren kleinen Welten gefangen sind. Zumindest fühle ich das so, und wer mich kennt, der weiß, dass ich ziemlich sensibel auf Bevormundung reagiere.
Was ich mir aber schon wünsche, das ist, dass die Grenzen sich wieder öffnen werden nach dieser Phase. Dass die Internationalität nicht verloren geht. Dass die Erweiterung der jetzt ganz kleinen Welt der Wohnung und ihrer Umgebung nicht nur bis zur kleinen Welt von Österreich reicht. Die Autoschlangen z.B. am Walserberg sind für mich fast die beunruhigendste Meldung. Auf dass die Freiheit nicht an den Landesgrenzen ende.
Die Sonne bescheint uns. Die Post braucht länger als sonst, die dringend benötigten Spielgeräte treffen nicht ein, sind lost in space. Das Fernweh quält zwar nicht sehr, aber ein marokkanisches Couscous heute Abend kann trotzdem helfen. Ich sollte kochen gehen.
Gestern habe ich Mentrix entdeckt, das Musikprojekt der großartigen Samar Rad, iranische Sufi-Klänge mit Electronic, dazu wunderschöne Videos zwischen Feminismus und Spiritualität. Das klingt jetzt ein wenig banal, aber nein, das ist es nicht. Ein Ereignis!
 
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