Der 2020 Krisenblog

Neununddreißigster Tag

Es gibt Maikäfer heuer. Eine vage Erinnerung an ein katastrophales Maikäferjahr in meiner Kindheit, als sie in großer Zahl aufgetaucht waren, einige Wochen war damals meine Welt eine Maikäferwelt. Man konnte keinen Schritt tun, ohne ihnen zu begegnen, und wir sollten sie einsammeln. Jetzt landet einer neben meinem MacBook auf dem Tisch und ich werde nostalgisch. Ich betrachte ihn fast zärtlich.
Ich mache mich schlau. Von den 3 bis 4-jährigen Rhythmen wusste ich. So lange braucht die Metamorphose. Darüber gibt es allerdings, habe ich nun gelesen, einen 30 bis 40-jährigen Rhythmus, der wahrscheinlich so zustande kommt: Gibt es sehr viele Maikäfer, verbreiten sich Krankheiten und Parasiten epidemisch, was den Bestand radikal reduziert. Es braucht lange, bis sich der wieder erholt, und dann geht der Zyklus wieder von vorne los. Man könnte ihnen Abstandsregeln empfehlen, die moderne Version von Anstandsregeln. Oder sollte es eher doch nicht, sonst fressen sie den Bäumen das Laub von den Zweigen.
Überraschenderweise höre ich weniger Musik nun. Ich sitze nicht im Zug, nicht in der Straßenbahn, nicht im Wirtshaus mit dem Lärm vom Nebentisch. Ich nutze die Musik nicht mehr, um eine semipermeable Membran um mich zu legen. Ich sitze und schreibe im Uferwäldchen, und vor dem Ambient Soundtrack aus dem Summen der Zuchtbienen. aber auch der Wildbienen und Hummeln, dem Vogelgezwitscher und dem Rauschen der Fahrradreifen am gegenüberliegenden Uferweg muss und will ich mich nicht schützen.
Wenn ich Musik höre, höre ich nun allerdings genauer hin. Zum Beispiel bei Lucinda Williams, in die ich seit langem verliebt bin und die gerade ein großartiges neues Album herausgebracht hat. Hier aber ihr aktueller „In My Room“-Auftritt, unplugged, ohne ihre formidable Band.