Der 2020 Krisenblog

Vierzigster Tag

Neulich wurde der Bundeskanzler gerügt, weil er stets die „Österreicherinnen und Österreicher“ anspricht. Wer ist damit wohl gemeint? Einige Wienerinnen und Wiener, die keine österreichischen Staatsbürger sind, meinten jedenfalls, sie seien nicht angesprochen.
Das wirft einige Fragen auf. Spricht er mit dieser Wendung nur das „Staatsvolk“ an, also Leute mit „richtiger“ Staatsbürgerschaft, oder die Bevölkerung – das wären dann alle 8,9 Millionen, die hier ansässig sind? Wie müsste man die adressieren, ohne dass man sich damit neue Probleme einhandelt?
„Häufig merkt die Mitte der Gesellschaft gar nicht, was ihr Sprachgebrauch aussagt, wie sehr Worte ausgrenzen können. Wenn Volker Bouffier am Abend von Hanau (…) vor einem Fernsehpublikum sagt, diese Deutschen mit Migrationshintergrund «gehörten zu uns», dann meint er zweifelsfrei das Richtige, nimmt aber gleichzeitig eine Ausgrenzung vor. Deutsche mit Migrationshintergrund oder mit einer Religion, die nicht eine christliche ist, sind also nicht automatisch Teil dieses «uns». Dabei wäre es doch diese Gemeinschaft eines «Wir», um die es in einer liberal-demokratischen Gesellschaft gehen sollte.“ meint Richard C. Schneider in der NZZ vom 21.04.2020.
Genau. Ich unterstelle jetzt einmal, dass „Österreicherinnen und Österreicher“ die gesamte Bevölkerung meint. Alles andere wäre in der Sache auch wenig zweckdienlich.
Obwohl: Eines der größeren Probleme unserer Demokratie ist, dass die gewählten Politikerinnen und Politiker eben nur das Staatsvolk vertreten, von dem sie gewählt sind, und ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in den politischen Institutionen nicht repräsentiert ist. Aber das geht über die Frage der Anrede doch hinaus.
Angemerkt sei noch, dass mir zu den Zeiten, als ich noch Pressekonferenzen verfolgte, auffiel, dass der Kanzler konsequent gendert. Immerhin.
Die Zwischenzeit hat mich veranlasst, nahezu in einer Panik mein unfertiges, aber doch schon relativ weit gediehenes Romanprojekt im Eigenverlag zu veröffentlichen. Erhältlich im Buchhandel, online und analog.
 
2025-11-23 um 16.51.41