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Sozialarbeitsstudium light?
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- Erstellt am Sonntag, 14. März 2010 07:54
Das Wiener Jugendamt will ErzieherInnen in Eigenregie zu SozialarbeiterInnen machen. Stellungnahme zur Ausschreibung eines "Umstiegslehrgangs"
Ausschreibung "Umstiegslehrgang" (PDF)
Die Wiener Landesgruppe des Österreichischen Berufsverbandes der SozialarbeiterInnen (OBDS) übersandte mir die Ausschreibung eines sog. „Umstiegslehrgangs“ und ersuchte mich um eine Stellungnahme. Ich komme diesem Ersuchen hiemit gerne nach, denn tatsächlich scheint der „Umstiegslehrgang“ eine Innovation zu sein, deren Charakter m.E. auch außerhalb der Gemeinde Wien ausführlich diskutiert werden sollte.
1.
Das Fortbildungszentrum der MAG ELF definiert als Ausgangspunkt für die Erstellung des Lehrgangsangebots den „Wunsch nach einer größeren Durchlässigkeit zwischen den Arbetisfeldern von SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen. In einem ersten Schritt soll SozialpädagogInnen ermöglicht werden, nach Absolvierung des Lehrgangs auch als SozialarbeiterInnen in der MAG ELF zu arbeiten.
Die scharfe Abgrenzung zwischen den Feldern Sozialarbeit und Sozialpädagogik ist tatsächlich namentlich in Deutschland seit längerem Gegenstand heftiger Kontroversen. Während im Berufsfeld in Deutschland kaum eine Unterscheidung in der Verwendung der AbsolventInnen der einen oder anderen Ausbildung festgestellt werden kann, spiegelt die Diskussion um Sozialpädagogik oder Sozialarbeitswissenschaft auf der wissenschaftspolitischen Ebene die Konkurrenz zwischen den Universitäten und den Fachhochschulen wider. Auf diese Diskussion soll hier nicht näher eingegangen werden, weil sie für die Beurteilung des gegenständlichen Lehrgangs wohl nur eine marginale Rolle spielt. Es sei nur festgehalten, dass Sozialpädagogik hier als universitäres Studium in der Pole-Position ist. Es handelt sich also auch um einen Prestigekampf zwischen universitären und fachhochschulischen Bildungskonzepten.
In Österreich ist die Situation etwas anders. Die universitäre Sozialpädagogik spielt bei weitem nicht die dominante Rolle im Feld der Sozialen Arbeit wie in Deutschland, und jene Personen, die in der gegenständlichen Ausschreibung als „SozialpädagogInnen“ angesprochen werden, haben i.d.R. keinen universitären Sozialpädagogik-Studiengang absolviert. Die österreichischen „SozialpädagogInnen“ sind AbsolventInnen von Schulen auf Fachmatura-Niveau (auch Kollegs machen aus einer Allgemein-Matura eine Fachmatura), also Personen, die keine Ausbildung auf der tertiären Stufe des Bildungswesens absolviert haben.
Die Sozialarbeits-Ausbildung findet in Österreich spätestens seit Mitte der 80er-Jahre in den Akademien auf postsekundärem Niveau statt. Die Diplomabschlüsse der 3-jährigen Akademien für Sozialarbeit sind einem Bakkalaureat gleichzuhalten, entsprechen also einem ersten Hochschulabschluss. Spätestens seit der Einführung der FH-Diplomstudiengänge Sozialarbeit ist die Sozialarbeitsausbildung eindeutig auf Hochschulniveau angesiedelt. Eigenständige professionelle Arbeit mit dem Fall, vor allem in den Arbeitsfeldern des Jugendamtes mit den weitreichenden Entscheidungsbefugnissen und der Möglichkeit, biografierelevante Eingriffe in die Lebensverhältnisse von KlientInnen vorzunehmen, ist (keineswegs nur in Österreich) an die Absolvierung einer professionsspezifischen Ausbildung auf Hochschulniveau gebunden.
Der sog. Umstiegslehrgang ignoriert diese Niveauunterschiede. Von seiner Konzeption unterstellt er, dass SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen gleichwertige, allerdings leicht differierende Ausbidlungsgänge hätten. Diese Unterstellung ist sachlich grob falsch.
Anzumerken ist weiters, dass es die Gemeinde Wien selbst war und ist, die eine strenge Grenze zwischen „Sozialarbeit“ und „Sozialpädagogik“ gezogen hat – mit sehr fragwürdigen Auswirkungen auf die Qualität wesentlicher Sektoren der Jugendwohlfahrtsarbeit. Sie hat in Zusammenhang mit der sogenannten „Heim 2000“-Reform das komplette Umfeld der Fremdunterbringung für SozialarbeiterInnen gesperrt, die angeblich dafür nicht qualifiziert seien. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist SozialarbeiterInnen die Tätigkeit in Einrichtungen der Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen nicht gestattet. So wurde eine wenig professionelle Monokultur geschaffen, die interdisziplinäres Arbeiten wesentlich erschwerte.
2.
Der „Umstiegslehrgang“ versucht nun unter Umgehung der im Hochschulbereich gültigen ausführlichen Normen, die der Sicherung der Qualität von Berufsbildung auf Hochschulniveau dienen (sh. z.B. die Akkreditierungsrichtlinien des Fachhochschulrates) auf betrieblicher Ebene AbsolventInnen von Kollegs zu einer Berufsberechtigung als SozialarbeiterInnen zu führen. Schon von der Organisationsform des Lehrgangs, seiner Zugangsberechtigungen und den Anforderungen (soweit sie aus dem lapidaren Papier erkennbar sind) kann davon ausgegangen werden, dass von einer vergleichbaren Qualifikation der AbsolventInnen mit der von SozialarbeiterInnen mit Akademie- oder Fachhochschulabschluss nicht einmal ansatzweise gesprochen werden kann.
Ich werde versuchen, dies nun im Einzelnen darzustellen:
2.1.
Die Situierung der Ausbildungsgänge in Hochschulen ist Voraussetzung für eine zumindest rudimentäre Professionalisierung. Sie sichert eine überbetriebliche Fachlichkeit, die einen ExpertInnenstatus unabhängig von begrenzten organisatorischen Interessen eines Anstellunsgträgers ermöglicht. Die Hochschulgesetze und im konkreten Fall das Akkreditierungsverfahren des Fachhochschulrates sichern die Qualität der Studiengänge und legen Kriterien eines gesamtgesellschaftlichen Interesses an. Der Staat übernimmt die Ausbildungskosten und gewinnt dafür ExpertInnen, die einen überbetrieblichen Horizont haben. Diese notorische Situierung der Ausbildung von Professionen im Hochschulsektor kann von einzelnen Anstellungsträgern nicht nach Belieben außer Kraft gesetzt werden. Architekturbüros können ArchitektInnen nicht abseits der Hochschule ausbilden, Spitäler können ihre KrankenpflegerInnen nicht in innerbetrieblichen Weiterbildungsgängen zu ÄrztInnen umschulen. Der Versuch der Gemeinde Wien, einen betriebsinternen Ausbildungsgang zur Sozialarbeiterin bzw. zum Sozialarbeiter zu installieren, kann also unabhängig von den konkreten Anforderungen und der Qualität dieses Lehrgangs als völlig unzulässige Attacke auf den professionellen Charakter der Sozialarbeit gewertet werden.
Ganz besonders ist dieser Versuch zu verurteilen, weil die Gemeinde Wien offensichtlich beabsichtigt, die so intern zu SozialarbeiterInnen erklärten Personen dann in einem Arbeitsfeld (Jugendamt) einzusetzen, das mit Macht ausgestattet ist und daher besondere Professionalität erfordert.
2.2.
Das vorliegende Curriculum erfüllt nicht einmal ansatzweise die Anforderungen an eine Sozialarbeitsausbildung auf Bakkalaureatsniveau. Es sieht insgesamt 20 Semesterwochenstunden, aufgeteilt auf 2 Semester, vor. Ein durchschnittliches Semester an einem FH-Diplomstudiengang Sozialarbeit umfasst ca. 24 Semesterwochenstunden, wobei dzt. 8 solcher Semester zu absolvieren sind. Dazu kommen i.d.R. Praktika im Ausmaß von mehreren Monaten.
Hier im Detail in Lehreinheiten (als Referenz ziehe ich den Studienplan des FH-Diplomstudiengangs St.Pölten heran):
Während SozialarbeiterInnen auf den FH-Studiengängen über alle Fächer mehrere Prüfungen abzulegen haben, ist im „Umstiegslehrgang“ nur eine mündliche Gesamtrpüfung vorgesehen.
Versucht man die gültigen Stundentafeln von Kollegs für Sozialpädagogik heranzuziehen, um die Vorbildung der Studierenden abzuklären, so fällt auf, dass allenfalls die Fächer „Pädagogik“, „Heil- und Sonderpädagogik“ und „Didaktik“ für eine Sozialarbeitsausbildung relevant und ggf. anrechenbar sind. Diese umfassen insgesamt 43 Semesterwochenstunden. Die im Vergleich zu FH-Studiengängen enorm hohe Zahl an Semesterwochenstunden (i.d.R. 38 in jedem Semester) verweist auf den schulischen Charakter der Ausbildung und auf das bloß minimal vorgesehene Selbststudium.
Zieht man die nunmehr im Rahmen des Bologna-Prozesses übliche Berechnungsform der ECTS-Punkte heran, so entspräche der Erwerb eines Bakkalaureats mindestens 180 ECTS-Punkten (60 ECTS-Punkte pro Studienjahr bei einer angenommen Gesamtbelastung durch das Studium von 40 Stunden x 45 Wochen im Jahr). Selbst wenn man die Kollegs als Studium annimmt, hätten die Studierenden dort maximal 120 ECTS-Punkte sammeln können und erst ein weiteres Vollzeitstudienjahr ließe sie SozialpädagogInnen auf Bakkalaureatsniveau sein.
Es sei jedoch noch einmal darauf hingewiesen, dass die unter Punkt 2.2. angeführten Vergleiche vorerst von der grundsätzlichen Erfordernis abgesehen haben, dass ein Studium an einer Hochschule nicht durch eine innerbetriebliche Weiterbildung ersetzt werden kann.
3.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der „Umstiegslehrgang“ zwar geeignet sein mag, AbsolventInnen von Kollegs für Sozialpädagogik einen ersten Einblick in das sozialarbeiterische Berufsfeld zu verschaffen, dass ihm aber nahezu alle Merkmale fehlen, die für einen berufsqualifizierenden Studiengang für Sozialarbeit erforderlich wären. Ein Einsatz des so ausgebildeten Personals anstelle von DiplomsozialarbeiterInnen oder Mag.(FH) wäre jedenfalls gleichbedeutend mit der Inkaufnahme einer dramatischen Unterqualifikation des Personals.
Die Argumentation, man öffne zwei Berufsfelder füreinander, kann bestenfalls als scheinheilig bezeichnet werden. Sie versucht zu verschleiern, dass die Ausbildungsgänge der beiden Berufsgruppen eben nicht auf gleichem Niveau sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lehrpläne der Kollegs für Sozialpädagogik keineswegs auf einem modernen Verständnis von Sozialpädagogik beruhen und daher die Absolvierung eines solchen Kollegs nur sehr eingeschränkt auf jene Aufgaben vorbereitet, die SozialpädagogInnen schon heute zu erfüllen haben.
Will man den Kolleg-AbsolventInnen mit Berufserfahrung den Einstieg in das Berufsfeld der Sozialarbeit ermöglichen, so gibt es dazu durchaus auch gangbare Wege: Man könnte mit einer Fachhochschule in Verhandlung treten, ob sie bereit wäre, einen sogenannten zielgruppenspezifischen Studiengang zu konzipieren, der Kolleg-AbsolventInnen unter freundlicher Anrechnung ihrer bisherigen Ausbildung einen verkürzten Weg zu einem Sozialarbeits-Bakkalaureat ermöglicht. Das Konzept dieses Studiengangs müsste dann den üblichen Weg der Akkreditierung durchlaufen.
4.
Ich empfehle der Landesgruppe Wien des OBDS, alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um den Einsatz von AbsolventInnen eines solchen Kurses auf SozialarbeiterInnen-Arbeitsplätzen zu verhindern.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Mag. Dr. Peter Pantucek