Der 2020 Krisenblog

Vierzehnter Tag

14 Tage sind vergangen, und die weltweite Woge baut sich auf, kommt näher. Noch verspüre ich keine Angst. Ich fühle mich wie ein hochinteressierter Beobachter. Wird sie noch kommen, die Angst?
Im vergangenen Herbst hatte ich begonnen, an einem Roman zu schreiben. Der Hintergrund: Wien ist in einer Ausnahmesituation, weil in einem Zeitraum von zwei Jahren alle „Bürger*innen mit Migrationshintergrund“ die Stadt verlassen haben – ohne einen besonderen Anlass. Das Konzept kann ich wegschmeißen. Aber einzelne Textstücke sind noch brauchbar:
„Wenn sich schon diese dunkle Wolke über die Stadt geschoben hatte, sie sich darunter für den Verfall zwar bereit machte, sich aber weigerte, diesen schnell zu erledigen, so musste man in seinem eigenen Leben alles tun, um nicht ebenfalls zu verdunkeln und zu verfallen.
Nun gab es einerseits diese klischeehafte Tradition der Stadtbewohner, den Untergang nicht ernst zu nehmen, sondern ihm das Heitere abzugewinnen und ihn als willkommenen Anlass für bedenkenlos hedonistische Inszenierungen zu nehmen.
Andererseits, nicht weniger klischeehaft, ist der Hedonismus nahe an der Melancholie gebaut. Er unterbricht die depressive Stimmung, heilt sie aber nicht. Er ist nicht mehr als ein kurzes Feuerwerk mitten in der Dunkelheit.
Was die Situation der Stadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner von früheren Katastrophensituationen unterschied, war die Ratlosigkeit. Ja, es war dunkel unter der Wolke. Ja, die wirtschaftlichen Turbulenzen wurden für so manche Existenz gefährlich. Dazu kam aber noch dieses Gift der Rat-, Ahnungs- und Orientierungslosigkeit, das sich verbreitet hatte. Allen war klar, dass man Entscheidungen treffen und etwas tun müsse, so schnell wie möglich, und doch wusste niemand, wie man entscheiden und was man tun könnte. Die Gewissheiten der jeweiligen Weltsichten schienen keine Richtung mehr vorzugeben. Einzig ganz rechts war alles klar, weiterhin. Was bisher schon auf Zerstörung aus war, konnte getrost dabei bleiben. Es war ja genügend übriggeblieben, was noch zerstört werden konnte.
Es mochte sich zwar alles dumpf anfühlen in dieser Stadt, aber noch war das eine zivilisierte Dumpfheit. Frustrierend, weil man sich nicht an einem Feind abarbeiten und man kein klares Ziel ausmachen konnte.“
Neu und schön ist die nunmehr breite Akzeptanz des Unvollkommenen: Wohnzimmerkonzerte, Videos ohne Ultra High Definition, improvisierte Lesungen, bei denen die Vorleser*innen mit dem Licht und der Technik kämpfen. Ich wünsche mir, dass das bleibt.
Die besondere Ästhetik des Shutdowns wird noch aufzuarbeiten sein. Die der leeren Straßen, der Homemade Videos und Podcasts, der Stille! Werden wir eine Erinnerung an diese Stille und das Improvisierte haben? Wie sehr werden sie uns abgehen, wenn sie wieder von uns gegangen sein werden?
Mir gehen die Fußballübertragungen weniger ab als gedacht. Heute stelle ich mir vor, dass ich die ersten Bundesligapartien feiern werde. Beim ersten Heimspiel Rapids nach dem Shutdown will ich unbedingt im Stadion sein, obwohl nach der langen Pause kein ansehnliches Match zu erwarten sein wird. Aber ich will mit den 20.000 die Wiederkehr feiern, das Leben, das Spiel.
Das Nest ist fertig gebaut. Eier legen, brüten. Das Paar hat eine Geduldprobe vor sich.
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