Soziales Kapital?
Mit Euch kann ich nichts anfangen! (Manuela Brandstetter)
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- Erstellt am Mittwoch, 17. Februar 2010 18:36
Mit Euch kann ich nichts anfangen! Ich antworte mal aus meiner Perspektive, o.k.? Nur weil ich einen Begriff als Ausgangspunkt meiner Erkenntnis begründe, heißt das noch lange nicht, dass ich damit das Substrat meiner Erkenntnis als Wesenheit festschreibe. Ich nehme nur einen Punkt x an und begründe, warum, wie und mit welchen Einschränkungen ich das tue. Ein Begriff ist mal in erster Linie nichts anderes als ein gedankliches Werkzeug.
Weil Du, Meinrad, eben gerne auf Bourdieu Bezug nimmst: Er VERWENDET den Raum-Begriff relativ häufig und in verschiedenen Schriften wenngleich er unmissverständlich davon ausgeht, dass man sich damit IMMER die substanzialistische Verkennung als Problem einhandelt. Es ist gar nicht möglich, Raum zu definieren OHNE dabei die großen quasi-natürlichen und quasi ontologisierten Erkenntnisgegenstände mitzukommunizieren (Rive-Gauche, nah/fern usw.). Raum macht immer Glauben, dass Sachverhalte (auch soziale) von größerer Faktizität seien als jene Phänomene, die sich nicht räumlich manifestieren. Das liegt quasi in der Natur des Raum-Begriffs. Das ist aber noch lange kein Grund, ihn nicht zu verwenden. Und nicht nur das: Es wäre vermessen, ihn nicht zu verwenden, gerade WEIL er eine derart zentrale erkenntnistheoretisch relevante Gestalt hat!
Warum raubt der Kapital-Begriff den Menschen die Gestaltungs- und Reproduktionsgestalt? Wie kommst Du auf die Idee, dass es sich dabei um eine rein „ökonomische“ Ausstattung im eigentlichen Sinne handeln könnte? Wie kommst Du auf die Idee, dass jemandem, nur weil er wenig kulturelles Kapital besitzt, der Spielraum fehlt? Der Begriff vom Kapital ist nicht so zentral, weil er von derart allerklärender Kraft wäre. Er ist lediglich ein Instrument, mit Hilfe dessen die Möglichkeit zur Herrschaft messbar gemacht werden kann. Thats it!
Und ich halte es für elitär, sich nicht die Finger schmutzig machen zu wollen und GENAU (empirisch) hinzusehen, sich nicht zu bemühen, Indikatoren für die Gleich-Verteilung von Gütern zu entwickeln, diesen nachzugehen. Im Elfenbeinturm der REINEN Theorie kann man(n) sich das selbstverständlich erlauben. In den Niederungen der Empirie geht das aber nicht. Hier beschäftigt man/frau sich mit der schmutzigen Welt der Praxen, des feldspezifischen Habitus, der Doings, welche Menschen, Subjekte vollziehen, um ihre Spielräume zu erweitern. Kommunikation transzendiert nicht und Raum ist nicht die reine Erwartungskonstellation. Es geht um Sinn und nicht um Kommunikation. Indem ich den Kapitalbegriff, den Raumbegriff, den Begriff des Ungleichheitsverhältnisses verwende, signalisiere ich, dass Menschen ihre Klassenstruktur kennen und reproduzieren und zeige mich empirisch interessiert daran, die dahinterstehenden Doings zu dekodieren.
Ich schaffe die begriffliche Möglichkeit, „Sinn“ auch in anderen Währungen zu finden, für die es (noch) kein Äquivalent zu geben scheint. Entlarvung heißt das Gebot, das ich aber nicht erfülle, wenn ich mir nur die sauberen Kommunikationen zu Gemüte führe und die Ästhetik von scheinbar ungeordneten Fraktalen aus meinen Überlegungen ausspare.
Wissenschaft kann nur empirisch betrieben werden. Sina Farzin räumt auf mit dem Reinheitsgebot und macht deutlich, dass auch die Systemtheorie in ihrer nüchternen Analytik nicht frei von Rhetorik und Polemik ist. Ohne Engagement ist Wissenschaft nicht zu betreiben.
Blöd ist nur, dass mir im Moment die Zeit fehlt, um das, was ich geschrieben habe zu untermauern und um die Argumentationszüge klarer auszubauen. Für Kritik bin ich sehr empfänglich. Vielleicht investiere ich dann auch Nachtstunden, weil ich merke, dass es mir ein echtes Anliegen ist, mit diesem Irrglauben der reinen, vom Sein abspaltbaren Erkenntnis aufzuräumen. Das täte auch der Sozialen Arbeit im übrigen sehr gut .. Weit verbreitet ist auch in unseren Reihen die Annahme, dass die „echte Praxis“ nur die „guten Rahmenbedingugnen braucht, um „wirklich helfen“ zu können. Sie merkt dabei nicht, wie elitär und lebensweltfremd sie dabei argumentiert …