Soziales Kapital?

eh kloar! (Meinrad Winge)

Lieber Peter,

ein bissi mühsam ist es schon mit deinen Repliken – sie vollführen stets dieselbe rhetorischen Geste: Erst wischt du mit einer einzigen Handbewegung, einer General-Schelte, alles weg, was ich an Argumenten vorgebracht habe (letztes Mal: Gut-Böse-Schema! Diesmal: oberflächlich! Strotzt vor Unterstellungen!) Dann stellst du an die durch die große Wischbewegung freigewordene Stelle deinen momentanen Wunschgegner hin, den ich gerade mal vom Hörensagen kenne (letztes Mal: die Identitätslosigkeitsthese bzw. eine moralisierend einseitige Ressourcen-Menschlichkeitsverknüpfung; diesmal: den Vulgär-Konstruktivismus, die Wirklichkeit als Einbildung) – diesen Wunschgegner säbelst du dann mit beachtlicher Verve nieder. Und ich versuch mich zu trösten: Na, wenigstens überflogen wird Peter meine Vorbringungen schon auch haben…

Oder löst etwa dein Hinweis darauf, dass es eine Wirklichkeit, „eine Welt da draußen“ gibt (danke für die Info!), tatsächlich schon das von mir geschilderte Problem der Konkurrenz um diese Wirklichkeit etwa bei Helferkonferenzen (und in so vielen anderen Situationen der Sozialen Arbeit)? Ist es tatsächlich nur eine „kokette selbstreflexive Volte“, sich klar zu machen, dass es um Sichtweisen geht? Das ist für dich alles eh kloar? Meiner Erfahrung nach ist es das nicht.

Aber auch wenn’s eh kloar wäre: Was spricht denn dann so schrecklich dagegen, eine Terminologie, Metaphern zu bevorzugen, die das eher bewahren? Und solche zu meiden, die zwar, wie du glaubst, „dem naiven Realismus“ von KlientInnen entgegenkommen, das perspektivische Potential (damit mein ich, dass man etwas so oder so betrachten kann) in ihren Einschätzungen (z.B. ihrer Beziehungsnetze) von vorneherein verunmöglichen? Dazu find ich in all deiner weit ausgreifenden Polemik kein noch so mageres Argument. (Das eine wäre „klarere Sprache“, das andere „Gewäsch“: Das ist zwar eine Stellungnahme – aber Argument?).

Mir ist übrigens eine noch bessere Übersetzung von Ressource eingefallen: Rohstoff.

Ein Rohstoff ist etwas, das ich habe (siehst du: ganz naiv real), etwas das mir zur Verfügung steht, dessen Bedeutung für mich aber zunächst völlig unbestimmt ist. Erst durch meine Bedeutungsgebung, meinen Blick darauf bzw. auch durch den Kontext wird es in seiner Bedeutung definiert. Um nicht gleich wieder als oberschlauer Luftikus dazustehen, der ohne Bodenhaftung im Bedeutungshimmel seine koketten Volten und frivolen Reframing-Pirouetten dreht (obwohl ich das ja mag!), wähle ich ein erdiges Beispiel: Eine Parzelle voll lehmigem Boden kann als Baugrund, zur Landwirtschaft, Lehmgewinnung, Geldanlage, nutzloses oder lästiges Erbstück etc. sehr Unterschiedliches sein. So wird ein Rohstoff entweder zum wertvollen Schatz oder zur vernachlässigbaren Größe, zum Produktionsmittel, zum Tauschobjekt, zum gleichgültigen Faktor, zum wertlosen Klumpert oder gar lästigem Problem. Ressourcen kann man nützen, in anderen Kontexten kann man’s gerade nicht, und man muss sie nicht nützen, sie drängen nicht zur Verwertung (wie etwa Kapital das tut). Und in einem Kontext ist das eine Stärke, was im andern eine Schwäche ist oder noch was ganz anderes. Denn das „Ressourcengewäsch“ legt uns nicht fest auf eine bipolare Wertung – und auch auf keine andere. Aber: Es ist äußerst sinnvoll, Rohstoffe zu erkunden und auch zu kartographieren!

Und wie mit den Lehmböden, lieber Peter, so ist es auch mit den Beziehungen. Und so vielen andern Dingen und Faktoren im Leben. Erkunden, kartographieren – ja bitte. Bipolar in Plus oder Minus, Haben oder Soll verrechnen, nur damit man Kontostände festlegen und daraus Macht-Salden ziehen kann – nein danke.

Das wär für mich auch die von dir gewünschte Eingrenzung des Themas.

Bitte entschuldige, wenn ich die Auflösung der Rätselaufgabe vom letzten Mal, zu der ich mich durch deinen Identitätslosigkeits-Schlenker habe hinreißen lassen, nochmals aufschiebe: „Wenn ich das richtig gelesen habe, ist die eine Sphäre die komplexe System-Umwelt-Relation (welches System?), die andere das lineare Ursache-Wirkungsprinzip.“ Du hast richtig gelesen. Hinsichtlich deiner Ratlosigkeit in diesem Zusammenhang will ich dir gerne in einem späteren Mail Perturbationen liefern, die du im Sinne der (erst)genannten Relation (System/Umwelt) – durchaus autopoietisch, wie ich dich kenne! – auf deine Art verarbeiten wirst – zweiteres Prinzip (Ursache/Wirkung) kommt in diesem Fall ja nicht in Frage (Nürnberger Trichter?); man könnte meinen: leider. Ich sage aber: Gott sei Dank! Denn dein Denken ist eines mit Sicherheit nicht: eine triviale Maschine! *

Liebe Grüße

Meinrad

*Relativ ausführlich geäußert hab ich mich dazu übrigens in meinem im soziales_kapital (ausgerechnet!) erschienen Artikel vom Vorjahr – die Einleitung ist ganz neu, die kennst du noch nicht vom Arlt-Kolloquium, und sie nimmt gerade auf diese Fragen Bezug.