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Jugendarbeit im urbanen Raum

Referat, gehalten auf der Arbeitstagung "Die veränderten Lebensbedingungen junger Menschen im urbanen Bereich. Gesellschaftliche Auswirkungen, Fehlentwicklungen und Chancen." des Vereins Jugend & Freizeit und der Polizei Linz
am 27. März 2001.

Sehr geehrte Frau Stadträtin, sehr gehrte Damen und Herren.

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich eingeladen haben, auf dieser Tagung zu sprechen, die mir schon von ihrem Ansatz her gut gefällt. Exekutive und Soziale Arbeit sind zwar weit entfernt davon, gleiche Aufgaben wahrzunehmen, aber sie repräsentieren zwei Zugänge der Gesellschaft zu ihren Problemen oder potenziellen Problemen. Umso logischer und wichtiger ist es, sich zusammenzusetzen, das Gespräch zu führen. Das Gespräch über Gemeinsamkeiten, aber auch über Differenzen. Zu manchen Themen wird es möglicherweise heißen:„wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind“ (we agree to disagree). Auch das ist eine schöne Form des Konsenses, wie wir ihn in einer Demokratie üben sollten.

Doch zuerst zu dem, was ich Ihnen liefern will. Das Thema dieser Tagung lautet – etwas sperrig–„Die veränderten Lebensbedingungen junger Menschen im urbanen Bereich. Gesellschaftliche Auswirkungen, Fehlentwicklungen und Chancen.“ Dazu will ich Ihnen einige Überlegungen anbieten.

Ich werde mit der Stadt beginnen, damit, wie sie sich bereits verändert hat und laufend verändert. Ich werde damit fortsetzen, welcher Welt sich die Jugendlichen gegenübersehen. Zum Dritten soll von„Problemen“ die Rede sein. Nach dieser Bestandsaufnahme werde ich Sie mit einigen Thesen zur Rolle von Exekutive und Sozialer Arbeit konfrontieren, die hoffentlich für Diskussionen sorgen werden.

Beginnen wir also mit der Stadt. Sie kennen Ihre Stadt– wie ich annehme– sehr genau. Ich kenne sie kaum. Ich kann Ihnen nur erzählen, welche Tendenzen in der Entwicklung der Städte international zu beobachten sind. Es liegt an Ihnen, festzustellen, was auf Linz bereits zutrifft, was nicht oder was noch nicht.

1. Die Städte

Wie verändern sich unsere Städte im beginnenden 21. Jahrhundert? Sehen wir uns einzelne Tendenzen an. In den letzten Jahrzehnten wuchsen an den Stadträndern Einkaufszentren heran. Großflächig entstanden solche Stadtteile, die vor allem für die Nutzung mit dem Auto gebaut waren. Nur für´s Kaufen, nicht fürs Wohnen.

Dieses Bild ist das erste, wenn man die Website der Shopping City Süd ansteuert. Eine Uhr und viele Autos. Parkend und fahrend. Wir sehen, für wen diese Einkaufsstädte gebaut wurden: Für Autofahrerinnen und Autofahrer. Die Uhr weist auf etwas hin, was Einkaufszentren von gut durchmischten urbanen Räumen unterscheidet: Sie erwachen mit den Öffnungszeiten der Geschäfte, sie sterben mit der Zeit der Schließung aus.  Ihr Rhythmus ist der Rhythmus des Einkaufens. Die Shopping Malls und Gewerbegebiete am Rand der Städte sind kaum mehr mit einem Gemeinwesen verbunden. Es gibt keine soziale Struktur, die sich hier treffen könnte, die hier ihr soziales Leben veranstalten könnte. Nicht die Bewohner des Stadtteils flanieren hier, die Wahrscheinlichkeit, die Nachbarn zu treffen, ist verschwindend gering. Es ist nicht meine Stadt, mein Grätzl, in der bzw. in dem ich mich bewege. Alle sind hier Gäste und fast der ganze Raum ist in Privatbesitz: Die riesigen Parkplatzfreiflächen, die Tiefgaragen und die Verkaufs- und Lagerräume, aber auch die von Einkaufenden bevölkerten überdachten Fußgängerbereiche der Malls.

In den Shopping Malls bahnten sich Entwicklungen an, die unsere Städte wahrscheinlich noch längere Jahre beeinflussen werden: attraktive Zonen des öffentlichen Raums kommen in private Eigentümerschaft, und sie werden stärker getrennt vom„normalen“ städtischen Raum. Diese privat-öffentlichen Zonen wandern inzwischen näher in die Zentren. Das Riesengelände des Potsdamer Platzes in Berlin, ein neues Zentrum der Stadt, ist zum größten Teil in Privatbesitz. Also: Nicht nur die Häuser, auch die Wege dazwischen, die Straßen und Plätze gehören nicht der Kommune, nicht der Öffentlichkeit. Ich brauche Ihnen nicht erzählen, dass das beachtliche Auswirkungen darauf hat, was man hier machen darf und was nicht. Auf privatem Boden gelten einige demokratische Grundrechte nicht. Eine Demonstration in einer Shopping-Mall erfüllt wohl den Tatbestand des Hausfriedensbruchs.

Aber auch in anderen Stadtbereichen sehen wir eine solche Einengung von Funktionen des öffentlichen Raums, wenn auch nicht so stark und nicht mit so relativ eindeutigen rechtlichen Rahmenbedingungen wie in den Shopping Malls. Die innerstädtischen Fußgängerzonen sind von ähnlichen Interessen dominiert, wie die Shopping Malls. Aber: hier sind die Wege noch deutlich öffentlicher Raum, die Zuständigkeit der Polizei ist gegeben, nicht die von privaten Sicherheitsdiensten. Die kommerziellen und historischen/touristischen Zentren sind nicht so stark separiert von anderen Stadtteilen, können am Abend nicht ganz einfach geschlossen werden. Sie stehen immer zur Verfügung. Und sie geben symbolisch natürlich mehr her als ein bloßes Einkaufszentrum. So sind sie mögliche Bühnen für die Selbstdarstellung von Gruppen, die Beachtung suchen. Konflikte zwischen den Geschäftsleuten, die ein konsumfreundliches Klima wünschen, und jenen, die die Bühne für expressive Selbstdarstellung nutzen wollen, sind vorprogrammiert.

In den letzten Jahren ist diese Entwicklung weitergegangen. Mit den Multiplexen entstanden große Einkaus- und Freizeittempel, die durch das Angebot an Kinos und an Erlebnisgastronomie besonders für Jugendliche attraktiv sind. In erster Linie allerdings für Jugendliche, die über eine zentrale Ressource verfügen: Über Geld.

Wir können beobachten, dass diese Trennlinie zunehmend schärfer wird. Wer Geld hat, ist in der Stadt willkommen, wer keines hat, dessen Räume werden enger. Es ist altbekannt, dass die Stadt, namentlich der öffentliche Raum in der Stadt, gesellschaftliche Verhältnisse sichtbar macht. Hier begegnen einander die verschiedensten Klassen und Schichten. Immer schon gab es Bemühungen der besser gestellten Schichten, sich die Ärmeren vom Leibe zu halten. Bettler sind ästhetisch nun einmal nicht besonders ansprechend. Prostituierte sollten in den ihnen zugewiesenen Vierteln bleiben,„normales“ Leben nicht störend, im Bedarfsfall aber leicht aufzufinden. Drogenabhängige stören das Vergnügen des Flanierens. Neuerdings müssen Argumente des Stadtmarketings herhalten: Wie viele Obdachlose verträgt der Fremdenverkehr?

Machen wir uns klar: Hier geht es nicht um Kriminalitätsbekämpfung, sondern um das Recht auf die Nutzung öffentlichen Raumes. Es geht darum, was als Ordnungswidrigkeit, als„Störung“ angesehen wird, und darum, wer berechtigt ist, wen und was als störend zu definieren und den Einsatz von Sicherheitskräften zu fordern.

Die Konflikte finden wir aber auch außerhalb der Zentren, dort vielleicht sogar vermehrt. Sehen wir uns doch an, wie heute Wohnungen beworben werden, damit wir eine Ahnung davon bekommen, wie sich Mittelschichtangehörige städtisches Wohnen wünschen:

… die letzte Konsequenz sind sogenannte "gated cities", ganze Gemeinwesen, umgeben von einer Mauer oder einem Zaun, Eintritt nur als Bewohner oder mit Genehmigung. Grenzkontrollen zur Abwehr des "Gesindels". Noch finden wir sie nicht bei uns, aber wie lange wird es noch dauern? Die Hoffnung der Bewohnerinnen und Bewohner solcher gated cities ist, die Bedrohung, die Kriminalität und die Unordnung aussperren zu können. Eine trügerische Hoffnung. Niemand schützt sie vor ihren eigenen Kindern, niemand die Ehefrauen vor den prügelnden Männern. Konflikte und Delikte auch hier.

Aber zurück in unsere mitteleuropäische Gegenwart. Und nach diesem Einblick in die Tendenzen bei der Entwicklung des öffentlichen Raumes in den Städten zu dem, was uns hier am meisten interessiert: den Jugendlichen.

2. Die Jugendlichen

Wie erleben heute Jugendliche die Stadt, wie erleben sie die Gesellschaft? Die Frage ist  so gestellt, dass sie unbeantwortbar bleiben muss, denn "die Jugendlichen" gibt es selbstverständlich nicht. Halten wir also sicherheitshalber einmal fest, dass ein Großteil der Jugendlichen die Welt, in der sie langsam erwachsen werden, als eine voll mit Chancen und Möglichkeiten für sich selbst begreift. Was hat sich geändert und haben die meisten Jugendlichen verstanden? Die sicheren Karrieren, die man anstreben könnte, gibt es praktisch nicht mehr. Dem eigenen Vater z.B. in den Eisenbahnerjob nachzufolgen und dort sich auszurechnen, wann man mit der Pensionierung rechnen kann, das gibt´s nicht mehr. Der Weg, der vor einem liegt, der absehbar ist, kann nicht mehr in Jahrzehnten bemessen werden. Die Planungszeiträume werden kürzer, denn es ist bereits ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen, dass nichts so bleiben wird, wie es ist.  Wie heißt das bei Ulrich Beck: Der Mensch als Planungsbüro in eigener Sache. Er muss planen, aber er hat wenig sichere Markierungen, an denen er sich entlanghanteln könnte. Die heute so plausible Entscheidung für eine bestimmte Ausbildung, für einen Arbeitsplatz kann sich schon bald als falsch herausstellen. Selbstbewusstsein ist gefragt, es ist gefragt, sich selbst "gut verkaufen" zu können, wie das so schön heißt. Eine immer wichtiger werdende Kompetenz.

Viele der Kids begreifen das sehr früh und finden zu kecken Selbstdarstellungen, die mitunter arrogant wirken mögen. Und vielfach entbehrt die coole Selbstpräsentation jeder Grundlage. Dahinter: Verunsicherung, Angst. Besonders trifft das auf jene Jugendlichen zu, die eine von vornherein schlechte Ausgangslage haben, und vor allem auf sie will ich mich in der Folge konzentrieren. Du musst selbst zurechtkommen, das ist die allgemeine Botschaft, die ihnen in diesem unseren gesellschaftlichen Dschungel ständig übermittelt wird. Aber wie kommt man selbst zurecht, wenn man eine sehr dürftige Ausrüstung hat? Sehen wir uns diese Ausrüstung an:

2.1 Familie

Sie alle wissen über die ständig steigenden Scheidungsziffern Bescheid. Im städtischen Raum wird schon fast jede zweite Ehe geschieden. Die Trennung der Eltern ist zwar für jedes Kind ein traumatisches Erlebnis, aber zum Drama mit Langzeitwirkung werden die Scheidungen erst dadurch, dass wir noch kein Alltagswissen etablieren konnten, wie man eine solche Trennung duchführt, ohne die Kinder zusätzlich und in unnötigem Ausmaß zu verletzen. Jeder weiß, wie man sich vermählt, die wenigsten wissen, wie man sich anständig trennt, welche Verpflichtungen Eltern nach der Trennung gegenüber ihren Kindern haben. Verpflichtungen zum anständigen Umgang mit dem früheren Partner, der früheren Partnerin. Beachtung für die Bedürfnisse der Kinder nach Loyalität. Vergessen Sie die Hoffnung, dass Ehen wieder stabiler werden. Aber arbeiten Sie an der Erfüllung der Hoffnung, dass Eltern auch nach der Trennung Eltern bleiben. Wir wissen übrigens, dass nicht nur kleine Kinder unter den Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern leiden, sondern dass sich auch Jugendliche - oft selbstquälerisch - mit Ehekrisen ihrer Eltern auseinandersetzen und davon massiv verunsichert werden. Trotzdem: Bedenkt man, wie viele Jugendliche die Trennung ihrer Eltern erleben mussten, sieht man, dass die meisten bemerkenswert gut damit fertig werden. Hauptverantwortlich dafür ist die Hilfe, die sie von der Peer Group, von den Gleichaltrigen, erhalten. Hier werden Erfahrungen weitergegeben und besprochen, hier wird Normalisierungsarbeit geleistet: Dein Schicksal ist kein Einzelschicksal. Auch wir sind damit fertiggeworden. Eine gewisse schmerzliche, aber heilsame Distanzierung von den "Alten" wird gefördert. Auch hier erkennen Sie die Tendenz: Du bist für dich selbst verantwortlich, mach das Beste aus einer Situation, die du ohnehin nicht ändern kannst.

Aber nicht nur die Brüchigkeit von Familien schafft schlechte Ausgangspositionen für Kinder und Jugendliche. Benachteiligte Familien produzieren eher benachteiligte Kinder. Eltern, die ihren Kindern im harten Schulleben nicht helfen können. Familien, in denen Gewaltanwendung an der Tagesordnung ist, minimieren die Chancen ihrer Kinder, mit der Welt angemessen zurecht zu kommen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche, die in die Jugendzentren kommen, die von Straßensozialarbeit betreut werden, die in das Blickfeld der Polizei geraten, müssen zu Hause erleben, dass die Väter oder Stiefväter die Mutter schlagen, oder dass sie selbst von ihren Vätern, Stiefvätern und/oder Müttern geschlagen werden.

Wir wissen, wie entwicklungsbehindernd familiäre Gewalt für Kinder / Jugendliche ist. Wir wissen auch, dass ein großer Teil dieser nicht nur körperlichen Gewalt ungeahndet bleibt. Auffällig sind nicht die Täterinnen und Täter, auffällig sind die Opfer. Und die Täterinnen/Täter sind noch dazu die Hauptbezugspersonen der Opfer. Wir haben den Opfern immer noch zu wenig Alternativen zu bieten.

2.2 Schule

Zuallererst werden die Opfer in den Schulen auffällig. Beachten wir den Doppelcharakter der Schule: Einerseits ermöglicht sie den Kids, sich von ihren Eltern zu distanzieren. Die Schule ist ein Raum, der klar mit der "Gesellschaft" identifiziert wird. Er bietet die Möglichkeit zu Kontakten über den familiären Rahmen hinaus. Die Schule ist ein bedeutsamer Raum: Hier werden Chancen zugeteilt, aber auch Chancen genommen. So integrierend die Schule ist, so ausschließend kann sie sein - und ist es leider immer wieder.

Kids und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben und Schwierigkeiten bereiten, unterliegen in unseren Schulen oft rigiden Ausschließungsprozessen. Die Ausschließung funktioniert über mehrere Mechanismen: Über die Noten, über abwertende Statements, über die Punzierung als "verhaltensauffälig", über Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Suspendierung. Für die Heranwachsenden ist die Schule die gesellschaftliche Welt, repräsentiert die Schule den Staat. Sie prägt in hohem Maße das Verhältnis, das sie zur Gesellschaft finden können. Aber viele haben noch eine Hoffnung: Nämlich dass das doch nicht alles ist, dass es eine Welt außerhalb der Schule gibt, in der sie sich dann vielleicht doch durchsetzen könnten; dass Schule und Lehrerinnen / Lehrer die Welt nicht wirklich begriffen haben; dass sie nur ein Durchgangsstadium vor dem wirklichen Leben ist. Sie fühlen sich fremd in der Schule, und doch ist sie das einzige Bindeglied zu dem, was "gesellschaftliche Normalität" bedeutet.

2.3 Kulturen

Zur Identität, zum Selbstbild gehört auch die Kultur, der man entstammt. Vor allem die Jugendlichen aus Zuwandererfamilien müssen sich mit ihrer Herkunftskultur auseinandersetzen. Ihre oft sehr fleißigen Eltern halten die klassischen Arbeitstugenden hoch, oft praktizieren sie auch ein strenges traditionalistisches Familienregime. Die Söhne und Töchter aber wachsen in einer Gesellschaft auf, die konsumorientiert ist, wo traditionale Werte keine große Rolle mehr spielen. Und doch: die Jugendlichen werden nicht ebenso als gleichberechtigt wahrgenommen, sie erfahren Herabsetzung und fühlen sich herabgesetzt. Wo sich die österreichische Gesellschaft repräsentiert, sind Immigrantinnen und Immigranten unsichtbar. Keine türkischstämmigen Fernsehsprecherinnen, keine Polizisten mit Jugo-Akzent und keine Politikerinnen mit für manche unaussprechlichen Namen sind sichtbar. So bleiben die Jugendlichen der zweiten Generation außen vor - und sind angewiesen darauf, sich selbst in Differenz zur österreichischen Mehrheitskultur zu definieren. Mit allen Problemen, die das bringt, inklusive der Perpetuierung des schwierigen Verhältnisses zu ihren Eltern.

2.4 die Straße, die Peergroup

Ein weiterer Bereich der Erfahrung von Gesellschaft ist der öffentliche Raum. Über ihn haben wir schon gesprochen, und in ihm zeigt sich das, was gesellschaftlich als "Problem" wahrgenommen wird. Es ist der Raum, der Jugendlichen zur Verfügung steht, die ihre eigene Familie als zumindest auch feindlich erleben, die nicht über genug Geld verfügen. Die Straße, der Hof, das Jugendzentrum sind Räume, die in Besitz genommen werden können, in denen man sich verhältnismäßig frei und selbstbestimmt bewegen kann, nicht Anordnungen folgen muss. Schon das Herumlungern ist eine jugendadäquate Form der Inbesitznahme öffentlichen Raums, des sich Hineinreklamierens in die Gesellschaft. Und es ist keine neue Form, sondern eine seit den "Halbstarken" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder geübte.

Je prekärer die Zugehörigkeit zur Gesellschaft erlebt wird, umso wichtiger ist die Selbststilisierung als deren Teil. Wir hören von den Jugendlichen, die sich auf der Straße und in den Parks herumtreiben, das ganze Arsenal an abwertendem Sprachgebrauch gegenüber Ausländern und gegenüber Frauen. Ich muss ihnen nicht erzählen, dass sie dadurch ihr eigenes dürftiges Selbstbewusstsein übertünchen. Sie wissen auch, welche Verletzlichkeit hinter vielen großen Sprüchen steckt. Mir scheint wichtig festzuhalten, dass wir es hier mit einer vorwiegend männlichen Kultur der aggressiven Selbstdarstellung zu tun haben.

Männlichkeit, die sich in aggressivem Gehabe und in Abwertung gegenüber "Gegnern" und Frauen ausdrückt, ist eine leicht zu aktivierende Form, sich selbst vermeintliche Bedeutung zu geben. Hier sehe ich eine große pädagogische Aufgabe. Es gilt, eine Männlichkeit zu propagieren, die Körperlichkeit nicht ignoriert. Eine Männlichkeit mit Kraft und Kontrolle der Kraft. Eine Männlichkeit, die nicht auf die Herabwürdigung von anderen angewiesen ist. Und die auch benachteiligten Jugendlichen zugänglich ist. In der Schule und in weiten Teilen der außerschulischen Jugendarbeit wird Aggressionskontrolle und Körperbezogenheit vernachlässigt. Gerade hier aber besteht m.E. ein großes Potential sozialpädagogischer Arbeit.

Andersrum: So mancher benachteiligter männlicher Jugendliche ist unfähig, seine Aggressionen zu kontrollieren bzw. Enttäuschungen anders als mit Aggression zu verarbeiten. Gerade dadurch verschlechtern sie aber ihre Chancen in dieser Gesellschaft. Großmut gegenüber körperlicher Gewaltanwendung ist also völlig unangebracht, hilft auch den Tätern nicht.

Die Cliquen, die jugendlichen Gruppen und Horden, sie sind es, die in der Regel Unmut erregen. Sei es durch ihre bloße Existenz und aggressive Sichtbarkeit, sei es durch tatsächliche Ordnungsverletzungen oder gar strafrechtlich relevante Taten.

Es ist nur ein kleiner Teil der Jugendlichen, die sich solchen auffälligen Cliquen anschließen. Durch ihre Sichtbarkeit bestimmen sie allerdings die öffentliche Wahrnehmung überproportional. Tatsächlich finden sich hier einige, die auf dem Weg zu einer kriminellen Karriere sind. Einige drohen den Anschluss an die Gesellschaft, an akzeptierte und chancenreichere Karrieren zu verlieren, zum Beispiel die Stricher.

M.E. gilt es hier zu differenzieren, in dieser individualisierten Gesellschaft auch Jugendliche als Individuen zu behandeln, gleichzeitig aber auf Regeldurchsetzung zu beharren. Nicht das Anderssein darf Anlass für Einschreiten sein, aber vor allem strafrechtlich relevante Tatbestände erfordern eine klare Reaktion.

4. Exekutivbeamte und Soziale Arbeit.

Welche Rollen haben nun Sie wahrzunehmen, Sie als Exekutivbeamte, Sie als Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter? Dazu zum Abschluss 6 Thesen:

 

  • Jugendliche, wie andere Menschen auch, benötigen Anerkennung, "Respect" als Personen, auch wenn sie einem diese Anerkennung immer wieder auch schwierig zu machen versuchen.
  • sowohl JugendarbeiterInnen als auch Exekutivbeamte repräsentieren die Gesellschaft, allerdings auf unterschiedliche Art und Weise.
  • SozialarbeiterInnen sind die  am weitesten vorgeschobenen Verhandlungsposten der Gesellschaft. Sie sollen Angebote machen, Wege, Pfade, Verbindungen zur Integration herstellen und freihalten.
  • Exekutivbeamte repräsentieren das Rechtsverständnis dieser Gesellschaft und sie haben das Gewaltmonopol, ein genau reglementiertes Gewaltmonopol. Sie sind unersetzbar.
  • Soziale Arbeit und die Exekutive sind aufeinander angewiesen. Ihr Verhältnis muss in einer demokratischen Gesellschaft problematisch bleiben, aber es sollte immer eines des distanzierten und respektvollen Dialogs sein.
  • Sowohl die Soziale Arbeit als auch die Polizei sollen auf das Handeln nicht verzichten. Sie sollen ihr Handeln aber ständig erklärend begleiten. Auch wenn es die Betroffenen nicht hören wollen oder glauben, so tun zu müssen, als wollten sie das jetzt nicht hören: Wir müssen erklären, was wir tun und warum wir es tun. Immer wieder erklären. Damit zeigen wir Respekt und Bemühen. Damit haben wir vielleicht auch Erfolg.