Zettelkasten

Thema oder Problem? Träume oder Ziele?

Eine Anfrage, geboren aus einem Forschungsprozess, und ein spontaner Antwortversuch.


Lieber Peter,

sorry, ich kann mich nicht weiter zurueckhalten...

Ist dir irgendwann mal was untergekommen zum Unterschied zwischen ,,Thema'' und ,,Problem''?

Es wird sowohl in der schriftlichen Welt als auch in den Teamsitzungen vorwiegend von ,,Themen'' der Klientinnen gesprochen. Die SozArb spricht z.B. von einem ,,Themenkatalog'' bestehend aus ca 10 Themen von denen dann eine Kombination bei dem Klienten zutrifft und jeweils zu bearbeiten ist. Dies passt zu dem Abschnitt im jeweiligen Jahreskonzept in dem ,,Themenschwerpunkte der Sozialbetreuung'' aufgelistet werden.

Ich mein, ich bin ja bei weitem keine große ,,Wortreiterin'' aber die sozialarbeiterische Problemdefinition ist fuer mich schon zentral. Sowohl in der Praxis (Aushandlung) als auch in der Theorie. Es macht die Arbeit konkreter aber natuerlich auch angreifbarer, ist ein Problem erst einmal definiert gilt es dies auch zu argumentieren, bearbeitbar zu machen und ggf. die Problemdefinition immer wieder auch dem Stand der Dinge anzupassen.
Stattdessen mit Themen zu arbeiten erscheint mir ,,gefahrloser'', weniger genau und in letzter Konsequenz weniger professionell.

Aehnliches gilt uebrigens fuer das Auftreten der Begriffe ,,Traum'' und ,,Ziel'' (wo auch noch eine Wertung drinnen liegt, wenn statt von Zielen der KlientInnen von ihren Traeumen gesprochen wird). Aber damit will ich dich jetzt nicht noch weiter aufhalten.

Lea Putz-Erath


liebe lea,

no literatur theoretisch fällt mir auf anhieb dazu keine ein.

thema ist halt etwas ganz anderes als problem. wie ich selber mehrfach ausgeführt habe und du richtig feststellst ist für die sozialarbeit der problembezug zentral – als ausgangspunkt und als begrenzung. wo man ihn verliert, entgrenzt sich der unterstützungsprozess.

in der sozialpädagogik ist oft von themen die rede, die hat aber auch einen anderen ausgangspunkt und ein anderes setting, zum beispiel das mit-leben mit den klienten und die alltagsgestaltung. in solchen settings ist problembezogene gesprächsführung die ausnahme, nicht die regel. man erreicht dort die steuerung eben durch das handling von themen, solchen, die die klientinnen eingebracht haben und solchen, die man selbst einbringt. das ist eine vernünftige vorgehensweise. steuerung über agenda-setting. das entspricht der vorgehensweise in vielen alltagsgesprächen. die sozialpädagogische diagnostik hat das weitergetrieben z.b. in der suche nach "lebensthemen" der kinder/jugendlichen.

die frage nach themen oder die vorsichtige etablierung von "themen" kann auch als mittel der exploration eingesetzt werden. wenn klientInnen sorgfältig vermeiden, wesentliches als problem zu definieren, kann man entweder sagen "welche themen sollten wir denn besprechen?" oder selbst eines einbringen: "worüber ich gerne mit ihnen einmal sprechen wollte: wie ist das eigentlich bei ihnen mit dem verhältnis zu ihrem vater?"

theoretisches findet sich dazu wahrscheinlich bei der diskursanalyse bzw. bei allen forschungsansätzen, die sich auf die analyse von erzählungen und alltagsgesprächen konzentrieren. aber genau weiß ich es nicht.

mit der thematisierung von "träumen" zu arbeiten statt mit "zielen" das findet man wieder in div. therapeutischen ansätzen, tw. im grenzbereich zum esoterischen. würd ich nicht ganz ausschließen, wenn eine strenger rationale vorgehensweise der kognitiv orientierten therapie/gesprächsführung, wie sie für die sozialarbeit als erste wahl typisch ist, in die sackgasse führt — was sie hin und wieder tut. soweit man sozialarbeiterisch und nicht sozialpädagogisch oder therapeutisch vorgeht, wird dann aber wieder ein rückbezug auf das handeln der klienten und auf das rationale gesucht. ist nicht ganz weit weg vom zielbezug, denn das, was "erträumt" werden kann, kann ich in der zeilhierarchie an die spitze setzen als "globalziel" und dann schritt für schritt herunterbrechen auf rahmenziele und ergebnisziele. floskeln wie "live your dream" oder die selbststeuerungsphilosophie von steve jobs selig laufen ungefähr auf das hinaus. das hübsche an globalzielen ist ja, dass sie nicht unbedingt erreicht werden müssen, aber möglicherweise ist es schon gut, ein solches ideal als maßstab zu haben, ob ich jetzt gerade weiterkomme oder in eine ganz falsche richtung unterwegs bin.

so weit mein kommentar zu deiner anfrage. noch eine bemerkung dazu: wortklauberei ist der kern sauberen denkens und sauberer arbeit. also nur weiter so.

doch noch eine bemerkung: manche schlechte sozialarbeiterInnen flüchten in eine vermeintliche "ressourcenorientierung", in "themen", um sich der mühsal der problemidentifizierung, der verhandlungen mit den klientInnen, was jetzt eigentlich sache ist, einer sorgfältigen diagnostik zu entziehen. das sind jene, die nicht wissen (wollen), was ihr job ist.

liebe grüße aus graz, wo es von mittag bis abends geschneit hat und das ganze jetzt in den späteren abendstunden zu vergatschen droht.

peter