Der 2020 Krisenblog

Dritter Tag

Tun, was zu tun ist, denke ich mir. Keine Ahnung, wie lange das dauern wird, keine Ahnung, welche Verwerfungen das bringen wird. Ich glaube den Epidemiologen. Aber schon den Virologinnen und Virologen glaub ich nicht mehr, wenn sie Mutmaßungen über den Verlauf der Pandemie anstellen. Können sie rechnen? Was wissen sie über die bereitgehaltenen Ressourcen und über die sekundären Folgen?

 

Was wir können, ist unser Geschäft betreiben, wenn das denn noch möglich ist unter den Bedingungen der ubiquitären physischen Distanz. Was wir können, ist unsere sozialen Kompetenzen verwenden. Reden mit den Leuten, mehr als bisher. Einen neuen Alltag bauen, rasch. Im Betrieb, in der Familie.

 

Wir können uns freuen, dass das Internet funktioniert, und dass die Kommunikation funktioniert, dass wir einander sehen können. Vielleicht sogar mehr und öfter sehen können als im bisherigen Alltag.

 

Die Welt wird keine bessere werden. Sie wird eine andere werden, und wir können seriös noch keine Aussage darüber treffen, wie anders sie sein wird und wie sie anders sein wird.

 

Es wird kein einzelner Tag sein, an dem alles vorbei sein wird. Und dann wird die Aufarbeitung der Geschichte unsere geringste Sorge sein. Sie wird dauern, es wird kein Jüngstes Gericht geben.

 

Was ich hoffe, ist, dass wir uns freudig umarmen werden, wenn der Spuk vorbei ist. Und dass wir, bevor wir das wieder einmal können werden, einander auf andere Weise näherkommen.

 

Was ich erträume, ist, dass danach all diese Leute, die als Chefs, als Verwaltungsspitzen, sich verkrochen haben dieser Tage, die ihre Unfähigkeit bewiesen haben, das Nötige zu tun, dass die dann befreit werden von den Jobs, die sie überfordern.

 

Woran ich nicht glaube, ist, dass Träume wahr werden. Zumindest nicht die Wunschträume. In der Regel aber auch nicht die Albträume. Würde ich Trost brauchen, wäre das einer.

Zweiter Tag

Wir sind zu Hause, und wir haben genügend Raum, um uns auch aus dem Weg gehen zu können. Noch ist alles gut.

 

Unsere Start-up Privatuni stellen wir auf voll digital vermittelte Kommunikation um, die Büros sind verwaist. Wir testen Tools. Manche funktionieren nur langsam, scheinen überlastet. Momentan die doppelte Arbeit: Umorganisieren, und trotzdem alles erledigen, was anfällt und auf termingerechte Erledigung wartet.

 

So wenig Autoverkehr gab´s nach meiner Erinnerung auf der Straße vor unserem Haus zuletzt so gegen Ende der 1960er-Jahre. Gespenstisch schön.

 

Täglich um Punkt neun Uhr gibt´s seit heute das Morgenmeeting. Das Team trifft sich nach dem Frühstück zur virtuellen Konferenz. Man macht, was man so macht als Team am Morgen: Man trinkt Kaffee, erzählt sich, wie es zu Hause so geht, scherzt, und spricht über die Arbeit, die heute zu erledigen ist. Hin und wieder tauchen im Hintergrund Familienmitglieder auf.

 

Ich ziehe mehrmals am Tag meine Spaziergeh-Kreise, um kein Gefühl des Eingesperrtseins aufkommen zu lassen. Auch die Autobusse ziehen ihre Kreise, vielleicht aus dem gleichen Grund, sie sind fast immer leer.

 

Freundinnen und Freunde berichten von Chefs, die seit Tagen auf Tauchstation sind, die noch schnell am letzten Donnerstag oder Freitag auf Urlaub gefahren sind, die weder etwas entscheiden noch mit den Mitarbeiter*innen reden.

 

Heute den Entschluss gefasst, vorerst täglich etwas zu schreiben.